Barcelona 01 - Der Schatten des Windes
auf einem Amtsgericht. Unsere Hochzeitsreise bestand in einer Fahrt mit der Zahnradbahn auf den Tibidabo, wo wir von den Parkterrassen aus auf Barcelona hinunterschauten, eine Miniatur im Nebel. Wir sagten niemandem, daß wir geheiratet hatten, weder Cabestany noch meinem Vater, noch seiner Familie, die ihn für tot hielt. Einzig Julián schrieb ich einen Brief, in dem ich es ihm erzählte, den ich aber nie abschickte. Wir führten eine Geheimehe.
Mehrere Monate nach unserer Hochzeit klingelte jemand an der Tür, der sich als Jorge Aldaya ausgab. Es war ein kaputter Mann mit schweißüberströmtem Gesicht, trotz der Kälte, die sogar den Steinen zusetzte. Angesichts der Wiederbegegnung nach über zehn Jahren lächelte Aldaya bitter und sagte, ohne mich zu beachten: »Wir sind alle verflucht, Miquel. Du, Julián, Fumero und ich.« Der Grund für seinen Besuch sei der Anfang einer Versöhnung mit einem alten Freund in der Zuversicht, dieser werde ihm nun verraten, wie er sich mit Julián Carax in Verbindung setzen könne, denn er habe eine hochwichtige Botschaft seines verstorbenen Vaters, Don Ricardo Aldaya, für ihn. Miquel sagte, er wisse nicht, wo sich Carax befinde.
»Wir haben uns seit Jahren aus den Augen verloren«, log er.
»Als letztes habe ich von ihm gehört, daß er in Italien lebt.«
Aldaya hatte diese Antwort erwartet.
»Du enttäuschst mich, Miquel. Ich habe damit gerechnet, daß dich Zeit und Unglück weiser gemacht hätten.«
»Es gibt Enttäuschungen, die den ehren, der sie bereitet.«
Aldaya lachte, kurz davor, sich in Bitterkeit aufzulösen.
»Fumero schickt euch seine aufrichtigsten Glückwünsche zu eurer Heirat«, sagte er auf dem Weg zur Tür.
Diese Worte ließen mir das Herz gefrieren. Miquel wollte nichts sagen, aber als ich ihn an diesem Abend umarmte und wir beide so taten, als sänken wir in einen unmöglichen Schlaf, wurde mir klar, daß Aldaya recht gehabt hatte. Wir waren verflucht.
Mehrere Monate hörten wir nichts mehr von Aldaya und auch nicht von Julián. Miquel war weiterhin fester freier Mitarbeiter bei einigen Barceloneser und Madrider Zeitungen. Unermüdlich arbeitend, saß er an der Schreibmaschine und erzeugte das, was er als Sottisen und Gesprächsstoff für Straßenbahnleser bezeichnete. Ich hatte meine Stelle in Cabestanys Verlag beibehalten, vielleicht weil das die einzige Art war, wie ich mich Julián näher fühlen konnte. In einer kurzen Notiz hatte er mir angekündigt, er arbeite an einem neuen Roman mit dem Titel Der Schatten des Windes, den er in einigen Monaten fertigzustellen hoffe. Der Brief, frostiger und distanzierter im Ton denn je, erwähnte mit keinem Wort, was in Paris geschehen war. Umsonst versuchte ich ihn zu hassen. Allmählich kam ich zu der Überzeugung, daß Julián weniger ein Mensch war als ein Verhängnis.
Miquel gab sich hinsichtlich meiner Gefühle keiner Täuschung hin. Er schenkte mir seine Liebe und Verehrung, ohne dafür mehr zu verlangen als meine Gesellschaft und vielleicht mein Feingefühl. Nie wieder hörte ich aus seinem Mund einen Vorwurf oder eine Klage. Mit der Zeit verspürte ich jenseits von Freundschaft und Mitleid eine unendliche Zärtlichkeit für ihn. Er hatte ein Sparkonto auf meinen Namen eröffnet, auf das er nahezu all seine Einkünfte aus den Zeitungsartikeln einzahlte. Nie lehnte er einen Auftrag ab, weder eine Kritik noch einen Kurzbericht. Er schrieb unter drei Pseudonymen, vierzehn oder sechzehn Stunden täglich. Wenn ich ihn fragte, warum er soviel arbeite, lächelte er nur oder sagte, wenn er untätig sei, langweile er sich. Nie gab es Täuschungen zwischen uns, nicht einmal ohne Worte. Miquel wußte, daß er bald sterben würde, daß ihm die Krankheit gierig die Monate wegfraß.
»Du mußt mir versprechen, daß du, wenn mir etwas zustößt, dieses Geld nimmst und wieder heiratest, daß du Kinder haben und uns alle vergessen wirst, mich zuallererst.«
»Wen sollte ich denn heiraten, Miquel? Red doch keinen Unsinn.«
Manchmal ertappte ich ihn dabei, wie er mich mit sanftem Lächeln aus einer Ecke heraus anschaute, als ob das reine Betrachten meiner Erscheinung sein größter Schatz wäre. Jeden Abend holte er mich am Eingang des Verlages ab, seine einzige Ruhepause des ganzen Tages. Ich sah, wie gebeugt er ging, hustend und eine Kraft vortäuschend, die bloß gespielt war. Er ging mit mir etwas Kleines essen oder in der Calle Fernando Schaufenster anschauen, dann kehrten wir nach Hause zurück, wo er bis nach
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