Barcelona 01 - Der Schatten des Windes
oder drei Stunden an die Schreibmaschine setzte, verwehrten es ihm Schwäche und Fieber, mehr als ein paar Worte zu Papier zu bringen. Wegen verspäteter Abgabe der Artikel hatte er die Aufträge mehrerer Zeitungen verloren. Andere fürchteten sich, seine Texte zu veröffentlichen, nachdem sie verschiedentlich anonyme Drohungen erhalten hatten. Es blieb ihm nur noch eine tägliche Kolumne beim Diario de Barcelona, die er mit Adrián Maltés unterzeichnete. Schon war der Geist des Krieges in der Luft zu spüren. Das Land roch nach Angst. Ohne Beschäftigung und sogar zum Jammern zu schwach, pflegte Miquel auf den Platz hinunterzugehen oder wagte sich bis zur Avenida de la Catedral vor; immer hatte er, wie ein Amulett, ein Buch von Julián bei sich. Das letzte Mal, als der Arzt ihn wog, brachte er keine sechzig Kilo mehr auf die Waage. Im Rundfunk hörten wir die Nachricht vom Aufstand in Marokko, und wenige Stunden später besuchte uns ein Kollege von Miquel aus der Redaktion und sagte, vor zwei Stunden sei Cansinos, der Chefredakteur, vor dem Café Canaletas durch einen Nackenschuß umgebracht worden. Niemand wagte die Leiche wegzubringen; sie blieb dort liegen und zeichnete ein blutiges Netz auf den Gehweg.
Die Tage des Anfangsterrors ließen nicht lange auf sich warten. General Godeds Truppen rückten über die Diagonal und den Paseo de Gracia zum Zentrum vor, wo sie das Feuer eröffneten. Es war Sonntag, und viele Barcelonesen waren noch ausgegangen, um den Tag in einem Ausflugslokal auf der Carretera de Las Planes zu verbringen. Doch bis zu den schwärzesten Kriegstagen in Barcelona sollte es noch zwei Jahre dauern. Kurz nach Ausbruch der Schießereien ergaben sich General Godeds Truppen – wie durch ein Wunder oder aber wegen schlechter Kommunikation unter den Führern. Lluís Companys’ Regierung schien die Kontrolle zurückgewonnen zu haben, aber was wirklich geschehen war, hatte eine viel größere Tragweite und sollte sich in den kommenden Wochen allmählich zeigen.
Barcelona befand sich nun in der Hand der anarchistischen Gewerkschaften. Nach Tagen der Unruhen und Straßenkämpfe ging schließlich das Gerücht um, die vier Putschgeneräle seien kurz nach der Kapitulation im Kastell des Montjuïc hingerichtet worden. Ein Freund von Miquel, ein englischer Journalist, der zugegen war, sagte, das Exekutionskommando habe aus sieben Mann bestanden, aber im letzten Moment hätten sich Dutzende Milizangehörige zugesellt, und nachdem der Schießbefehl erteilt worden sei, hätten die Körper so viele Kugeln bekommen, daß sie bis zur Unkenntlichkeit zerfetzt worden seien. Manche dachten, das sei das Ende des Konflikts, die faschistischen Truppen würden nie nach Barcelona gelangen und der Aufstand würde sich unterwegs auflösen. Doch es war erst der Anfang gewesen.
Daß Julián in Barcelona war, erfuhren wir durch einen Brief von Irène Marceau, den wir am Tag von Godeds Kapitulation bekamen und in dem sie uns mitteilte, Julián habe bei einem Duell auf dem Friedhof Père Lachaise Jorge Aldaya getötet. Noch bevor Aldaya die Seele aushauchte, habe ein anonymer Anruf die Polizei von dem Vorfall unterrichtet. Da ihn diese wegen Mordes suchte, mußte Julián auf der Stelle aus Paris verschwinden. Wir hatten keinen Zweifel, von wem dieser Anruf stammte, und warteten sehnlichst auf Julián, um ihn vor der Gefahr, die auf ihn lauerte, zu warnen und vor einer noch schlimmeren: vor der Entdeckung der Wahrheit. Nach drei Tagen hatte er noch immer kein Lebenszeichen gegeben. Miquel mochte seine Ängste nicht mit mir teilen, aber ich wußte ganz genau, was er dachte. Julián war wegen Penélope zurückgekommen, nicht unseretwegen.
»Was geschieht, wenn er die Wahrheit herauskriegt?« fragte ich.
»Das werden wir zu verhindern wissen«, antwortete Miquel.
Zunächst einmal würde Julián feststellen, daß die Familie Aldaya spurlos verschwunden war. Viele Orte, um mit der Suche nach Penélope zu beginnen, gab es nicht. Wir stellten eine Liste dieser Orte zusammen und fingen mit unserer Suche an. Das Haus in der Avenida del Tibidabo war verlassen, unzugänglich hinter Ketten und Efeuteppichen. Ein Straßenhändler, der an der gegenüberliegenden Ecke Rosen- und Nelkensträußchen verkaufte, sagte uns, er erinnere sich nur an eine einzige Person, die sich in letzter Zeit dem Haus genähert habe, aber das sei ein älterer Mann, ja fast ein Greis gewesen, der leicht gehinkt habe.
»Eine Saulaune hatte der, ehrlich. Ich wollte
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