Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Barcelona 01 - Der Schatten des Windes

Barcelona 01 - Der Schatten des Windes

Titel: Barcelona 01 - Der Schatten des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Ruiz Zafon
Vom Netzwerk:
allein unterwegs sei, nickte er nur. Seit langer Zeit war er allein unterwegs.
5
    Zehn Jahre nachdem er in Buenos Aires an Land gegangen war, kehrte Jorge Aldaya oder das Überbleibsel von einem Menschen, das er geworden war, nach Barcelona zurück. Die Mißgeschicke, die die Familie Aldaya schon in der Alten Welt aufzureiben begonnen hatten, hatten sich in Argentinien nur noch vermehrt. Dort hatte Jorge der Welt allein die Stirn bieten müssen, ein Kampf, für den er weder die Waffen noch das Selbstbewußtsein des Vaters je gehabt hatte. Er war mit leerem Herzen und von Gewissensbissen zerfressener Seele nach Buenos Aires gekommen. Südamerika ist, sagte er später zur Entschuldigung, eine Fata Morgana, ein Land von Ausbeutern und Aasgeiern, und er war für die Privilegien und das leichtsinnige Gehabe des alten Europas erzogen worden. Im Laufe weniger Jahre verlor er alles, vom Ruf bis zur goldenen Uhr, die ihm sein Vater zur Erstkommunion geschenkt hatte – damit konnte er die Fahrkarte für die Rückreise kaufen. Der Mann, der nach Spanien heimkehrte, war ein Bettler, ein Ausbund an Bitterkeit und Mißerfolg, dem nur noch die Erinnerung an das geblieben war, was ihm nach seinem Empfinden weggenommen worden war, und der Haß auf denjenigen, dem er die Schuld an seinem Untergang gab: Julián Carax.
    Noch brannte in seiner Erinnerung das Versprechen, das er seinem Vater gegeben hatte. Sowie er in Barcelona eintraf, erschnüffelte er Juliáns Spur, um festzustellen, daß dieser immer noch aus einem Barcelona verschwunden zu sein schien, das nicht mehr dasjenige war, das er selbst zehn Jahre zuvor verlassen hatte. Da brachte ihn der Zufall wieder mit einer Figur aus seiner Jugend zusammen. Nach einer Karriere in Besserungsanstalten und Staatsgefängnissen war Francisco Javier Fumero in die Armee eingetreten, wo er es zum Oberleutnant gebracht hatte. Viele prophezeiten ihm eine Zukunft als General, aber ein undurchsichtiger Skandal, in den nie Licht gebracht werden sollte, führte zu seinem Ausschluß aus dem Militär. Trotzdem übertraf sein Ruhm seinen Rang und seine Kompetenzen. Vieles wurde über ihn gesagt, doch mehr noch wurde er gefürchtet. Francisco Javier Fumero, jener schüchterne, verwirrte Junge, der den Hof der San-Gabriel-Schule geharkt hatte, war nun ein Mörder. Man munkelte, für Geld liquidiere er bekannte Persönlichkeiten, räume auf Auftrag verschiedener Hintermänner politische Figuren aus dem Weg.
    Im Dunst des Café Novedades erkannten sich Aldaya und er sogleich. Aldaya war krank, mitgenommen von einem seltsamen Fieber, an dem er den Insekten in Südamerika die Schuld gab. »Dort sind selbst die Mücken Schweinehunde«, lamentierte er. Fumero hörte ihm mit einer Mischung aus Faszination und Abscheu zu. Er verehrte die Mücken und die Insekten ganz allgemein. Er bewunderte ihre Disziplin, ihre Ausdauer und Organisation. Da gab es keinen Müßiggang, keine Respektlosigkeit, Homosexualität oder Rassendegeneration. Seine Lieblingsspezies waren die Spinnentiere mit ihrer seltsamen Fähigkeit, eine Falle zu spinnen, in der sie mit unendlicher Geduld auf ihre Beute warteten, die früher oder später aus Dummheit oder Nachlässigkeit den Tod fand. Seiner Meinung nach hatte die bürgerliche Gesellschaft von den Insekten viel zu lernen. Aldaya war ein klarer Fall von moralischem und physischem Ruin. Er war beträchtlich gealtert und sah verwahrlost aus, ohne Muskeltonus. Fumero haßte Leute ohne Muskeltonus.
    »Javier, mir geht es elend – kannst du mir ein paar Tage helfen?« flehte Jorge.
Fumero nahm ihn mit nach Hause. Er lebte in einer düsteren Wohnung im Raval, in der Calle Cadena, zusammen mit zahlreichen, in Apothekerfläschchen verwahrten Insekten und einem halben Dutzend Büchern. Bücher verabscheute er ebenso, wie er die Insekten anbetete, doch die seinen waren keine beliebigen Bände, sondern Julián Carax’ vom Verlag Cabestany publizierte Romane. Fumero gab den beiden Weibsbildern in der Wohnung gegenüber etwas Geld, damit sie Aldaya pflegten, während er zur Arbeit ging. Er hatte nicht das geringste Interesse, ihn sterben zu sehen. Noch nicht.
Francisco Javier Fumero war in die Kriminalpolizei eingetreten, wo es immer Arbeit gab für qualifizierte Personen, die in der Lage waren, die undankbarsten Aufgaben zu übernehmen, welche es diskret zu lösen galt, damit die achtbaren Leute weiterhin in Illusionen leben konnten. Etwas in dieser Art hatte Oberleutnant Durán zu ihm gesagt, ein

Weitere Kostenlose Bücher