Barcelona 01 - Der Schatten des Windes
Carax’ Romane hat er vermutlich nur zum Spaß publiziert.«
»Was ist aus Señor Cabestany geworden?«
Isaac seufzte und schaute auf.
»Das Alter, das von uns allen seinen Tribut fordert. Er wurde krank und bekam Geldprobleme. 1936 hat der ältere Sohn den Verlag übernommen, aber er gehörte zu denen, die nicht einmal ihren Namen fehlerfrei schreiben können. In weniger als einem Jahr ist die Firma auf den Hund gekommen. Zum Glück hat Cabestany nicht mehr gesehen, was seine Erben mit der Frucht eines langen Arbeitslebens angestellt haben – und was der Krieg mit dem Land angestellt hat. Am Abend von Allerheiligen raffte ihn eine Embolie dahin, mit einer Cohiba im Mund und einem fünfundzwanzigjährigen Mädchen auf den Knien. Der Sohn hatte einen andern Charakter. Arrogant, wie nur Dummköpfe sein können. Seine erste große Idee war der Versuch, den ganzen Lagerbestand des Verlags zu verkaufen, also das Vermächtnis seines Vaters, um die Bücher zu Papiermasse zu machen oder so. Ein Freund von ihm, noch so ein verwöhntes Burschen mit einem Haus in Caldetas und einem Bugatti, hatte ihn davon überzeugt, daß Liebes-Fotoromane und Mein Kampf sich fantastisch verkaufen würden und daß man tonnenweise Zellulose brauche, um die Nachfrage zu befriedigen.«
»Und hat er es getan?«
»Er ist nicht mehr dazu gekommen. Kurz nachdem er den Verlag übernommen hatte, besuchte ihn ein Mann und machte ihm eine äußerst großzügige Offerte. Er wollte die ganzen noch vorhandenen Bestände von Julián Carax’ Romanen kaufen und ihm dafür das Dreifache des Marktpreises bezahlen.«
»Sagen Sie nichts weiter. Um sie zu verbrennen«, murmelte ich.
Isaac lächelte überrascht.
»Genau. Sie haben sich doch so dumm gestellt, soviel gefragt, als wüßten Sie nichts.«
»Wer war dieser Mann?«
»Ein gewisser Aubert oder Coubert, ich weiß nicht mehr genau.«
»Laín Coubert?«
»Sagt Ihnen der Name was?«
»So heißt eine Figur in Der Schatten des Windes, Carax’ letztem Roman.«
Isaac runzelte die Stirn.
»Eine fiktive Figur?«
»Im Roman ist Laín Coubert der Name, dessen sich der Teufel bedient.«
»Ein wenig theatralisch, wenn Sie mich fragen. Aber wer er auch sein mochte, wenigstens hatte er Sinn für Humor.«
Da ich meine Begegnung mit diesem Menschen noch in frischer Erinnerung hatte, fand ich das nicht im geringsten lustig, aber ich sparte mir meine Meinung für eine bessere Gelegenheit auf.
»Dieser Mann, Coubert oder wie er heißt, hatte er ein verbranntes, entstelltes Gesicht?«
Isaac schaute mich mit einem halb belustigten, halb besorgten Lächeln an.
»Nicht die geringste Ahnung. Die Person, die mir das alles erzählt hat, hat ihn nie gesehen, und sie erfuhr es nur, weil Cabestany junior es am nächsten Tag seiner Sekretärin erzählte. Von verbrannten Gesichtern hat er nichts erwähnt. Wollen Sie etwa sagen, daß Sie das nicht aus einem Hintertreppenroman haben?«
Ich schüttelte nur den Kopf, um das Thema herunterzuspielen.
»Wie ist die Geschichte ausgegangen? Hat der Sohn des Verlegers die Bücher an Coubert verkauft?« fragte ich.
»Dieser verwöhnte Luftikus wollte besonders schlau sein und hat mehr verlangt, als Coubert ihm angeboten hatte, und daraufhin hat der seine Offerte zurückgezogen. Einige Tage später ist das Lager des Verlages Cabestany in Pueblo Nuevo kurz nach Mitternacht bis auf die Grundmauern niedergebrannt. Und das ganz umsonst.«
»Und was geschah mit Carax’ Büchern? Sind sie vernichtet worden?«
»Fast alle. Zum Glück hat Cabestanys Sekretärin, als sie von der Offerte hörte, eine Eingebung gehabt und von jedem Carax-Titel ein Exemplar mit nach Hause genommen. Sie war es auch, die die ganze Korrespondenz mit ihm geführt hatte, und im Laufe der Jahre hat sich zwischen den beiden eine gewisse Freundschaft ergeben. Sie hieß Nuria, und ich glaube, sie war die einzige Person im Verlag – und wahrscheinlich in ganz Barcelona –, die Carax’ Romane gelesen hat. Sie hat eine Schwäche für aussichtslose Angelegenheiten. Als kleines Mädchen hat sie auf der Straße Tierchen aufgelesen und nach Hause gebracht. Mit der Zeit hat sie dann verkrachte Romanautoren adoptiert, vielleicht weil ihr Vater ein Schriftsteller sein wollte und es nie geschafft hat.«
»Sie scheinen sie sehr gut zu kennen.«
Isaac lächelte wie das hinkende Teufelchen.
»Besser, als sie glaubt. Sie ist meine Tochter.«
Das Schweigen und der Zweifel nagten an mir. Je mehr ich von dieser Geschichte vernahm, desto
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