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Barcelona 01 - Der Schatten des Windes

Barcelona 01 - Der Schatten des Windes

Titel: Barcelona 01 - Der Schatten des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Ruiz Zafon
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kann, was nicht schon ich Ihnen erzählt habe. Denken Sie daran, seit alledem ist viel Zeit vergangen. Und Tatsache ist, daß wir uns nicht so gut verstehen, wie ich möchte. Wir sehen uns einmal im Monat. Wir gehen hier in der Nähe zu Mittag essen, und danach verschwindet sie wieder, wie sie gekommen ist. Was ich weiß, ist, daß sie schon vor Jahren einen anständigen Burschen geheiratet hat, Journalist und ein wenig unvernünftig, ehrlich gesagt, einer von denen, die sich immer in politische Schwierigkeiten bringen, aber mit einem guten Herzen. Sie haben zivil geheiratet, ohne Gäste. Ich habe es einen Monat später erfahren. Ihren Mann hat sie mir nie vorgestellt. Er heißt Miquel oder so. Vermutlich ist sie nicht sehr stolz auf ihren Vater, und ich gebe ihr keine Schuld. Jetzt ist sie eine andere Frau. Stellen Sie sich vor, sie hat sogar stricken gelernt und soll sich scheint’s nicht mehr wie Simone de Beauvoir kleiden. Demnächst werde ich erfahren, daß ich Großvater geworden bin. Seit Jahren arbeitet sie zu Hause als Französisch- und Italienischübersetzerin. Ich weiß nicht, woher sie diese Begabung hat, ehrlich gesagt. Von ihrem Vater jedenfalls nicht. Ich werde Ihnen ihre Adresse aufschreiben, obwohl ich nicht weiß, ob es eine gute Idee ist, wenn Sie ihr sagen, daß ich Sie schicke.«
Isaac kritzelte etwas auf die Ecke einer alten Zeitung und gab mir den Ausriß.
»Vielen Dank. Man weiß nie, vielleicht erinnert sie sich an etwas …«
Isaac lächelte ein wenig traurig.
»Als kleines Mädchen hat sie sich an alles erinnert. An alles. Dann werden die Kinder groß, und man weiß nicht mehr, was sie denken und fühlen. Und vermutlich muß es auch so sein. Sagen Sie Nuria nicht, was ich Ihnen erzählt habe, ja? Was hier gesagt worden ist, bleibt unter uns.«
»Seien Sie unbesorgt. Glauben Sie, daß sie noch an Carax denkt?«
Isaac seufzte lange und senkte den Blick.
»Keine Ahnung. Ich weiß nicht, ob sie ihn wirklich geliebt hat. Diese Dinge bleiben im Herzen jedes einzelnen verschlossen, und jetzt ist sie eine verheiratete Frau. Als ich so alt war wie Sie, hatte ich eine kleine Freundin, Teresita Boadas hieß sie und nähte Schürzen in der Textilfabrik Santamaría in der Calle Comercio. Sie war siebzehn, zwei Jahre jünger als ich, und war die erste Frau, in die ich mich verliebte. Machen Sie nicht so ein Gesicht, ich weiß schon, daß ihr jungen Leute glaubt, wir Alten hätten uns nie verliebt. Teresitas Vater hatte einen zweirädrigen Eiswagen auf dem Borne-Markt und war von Geburt an stumm. Sie können sich nicht vorstellen, was ich an dem Tag für eine Angst hatte, als ich ihn um die Erlaubnis bat, seine Tochter zu heiraten, und er mich volle fünf Minuten lang anstarrte, ohne ein Wort zu sagen und mit dem Eispickel in der Hand. Ich hatte zwei Jahre gespart, um einen Ehering zu kaufen, da wurde Teresita krank. Etwas, was sie in der Fabrik aufgelesen habe, sagte sie. Innerhalb von sechs Monaten ist sie an Tuberkulose gestorben. Ich erinnere mich noch, wie der Stumme wimmerte, als wir sie auf dem Friedhof von Pueblo Nuevo beerdigt haben.«
Isaac versank in tiefes Schweigen. Ich wagte nicht zu atmen. Kurz darauf schaute er auf und lächelte mich an.
»Das war vor fünfundfünfzig Jahren, nicht zu fassen. Aber wenn ich ehrlich sein soll, vergeht kein Tag, an dem ich mich nicht an sie erinnere, an die Spaziergänge, die wir zu den Ruinen der Weltausstellung von 1888 gemacht haben, und wie sie über mich gelacht hat, wenn ich ihr die Gedichte vorlas, die ich im Hinterzimmer des Wurst- und Lebensmittelladens meines Onkels Leopoldo schrieb. Ich erinnere mich sogar noch an das Gesicht einer Zigeunerin, die uns am Bogatell-Strand aus der Hand gelesen und uns gesagt hat, wir würden ein Leben lang zusammenbleiben. Auf ihre Art hat sie nicht gelogen. Was soll ich Ihnen sagen? Doch, ich glaube, Nuria erinnert sich noch immer an diesen Mann, auch wenn sie es nicht sagt. Und ehrlich gesagt, das werde ich Carax niemals verzeihen. Sie sind noch sehr jung, aber ich weiß, wie sehr so etwas schmerzt. Wenn Sie meine Meinung hören wollen, so war Carax ein Herzensbrecher, und das Herz meiner Tochter hat er mit sich ins Grab oder in die Hölle genommen. Ich bitte Sie nur um eines, falls Sie sie sehen und mit ihr sprechen: daß Sie mir sagen, wie es ihr geht. Daß Sie herauskriegen, ob sie glücklich ist. Und ob sie ihrem Vater vergeben hat.«
    Kurz vor dem Morgengrauen drang ich, nur mit einer Öllampe bewehrt, ein

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