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Barcelona 01 - Der Schatten des Windes

Barcelona 01 - Der Schatten des Windes

Titel: Barcelona 01 - Der Schatten des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Ruiz Zafon
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weiteres Mal in den Friedhof der Vergessenen Bücher ein. Dabei stellte ich mir vor, wie Isaacs Tochter durch dieselben dunklen, unendlichen Gänge geschritten war, mit demselben Entschluß, wie er jetzt auch mich lenkte: das Buch in Sicherheit zu bringen. Anfänglich dachte ich, ich erinnere mich an den Weg, dem ich bei meinem ersten Besuch hier an der Hand meines Vaters gefolgt war, aber bald ging mir auf, daß die Wirrungen des Labyrinths die Gänge in Spiralen krümmten, die man unmöglich im Kopf behalten konnte. Dreimal versuchte ich einem Weg zu folgen, den ich im Gedächtnis zu haben meinte, und dreimal führte mich das Labyrinth zum Ausgangspunkt zurück. Dort wartete Isaac lächelnd auf mich.
    »Haben Sie vor, es später einmal wieder zu holen?« fragte er.
»Selbstverständlich.«
»In diesem Fall sollten Sie vielleicht einen kleinen Kniff anwenden.«
»Einen Kniff?«
»Junger Mann, Sie haben eine ziemlich lange Leitung, nicht wahr? Erinnern Sie sich doch an den Minotaurus.«
Erst nach einigen Sekunden begriff ich seinen Vorschlag. Er. zog ein altes Federmesser aus der Tasche und streckte es mir hin.
»Bringen Sie an jeder Ecke, um die Sie biegen, eine kleine Markierung an, eine Kerbe, die nur Sie kennen. Es ist altes Holz und hat schon so viele Kratzer und Rillen, daß niemand es bemerken wird, es sei denn, er weiß, was er sucht …«
Ich folgte seinem Rat und drang wieder ins Zentrum des Baus ein. Immer wenn ich die Richtung änderte, blieb ich stehen und markierte mit einem C und einem X die Regale auf derjenigen Seite des Gangs, wo ich abbog. Nach zwanzig Minuten hatte ich mich in den Eingeweiden des Turms vollkommen verirrt, und der Ort, wo ich das Buch vergraben würde, offenbarte sich mir nur zufällig. Zu meiner Rechten erkannte ich eine Reihe von Bänden über die Aufhebung von lehnsrechtlicher Bindung beim Vermögen aus der Feder eines gewissen Jovellanos. In meinen Halbwüchsigenaugen hätte eine derartige Tarnung selbst die hinterlistigsten Geister abgeschreckt. Ich nahm einige Bände heraus und untersuchte die hinter dieser Mauer granitener Prosa verborgene zweite Reihe. Zwischen Staubwölkchen wechselten sich mehrere Komödien von Moratín und eine prächtige Ausgabe von Curial e Güelfa mit Spinozas Tractatus TheologicusPoliticus ab. Um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, entschloß ich mich, Carax zwischen ein Jahrbuch mit Gerichtsurteilen der Zivilgerichte von Gerona aus dem Jahr 1901 und eine Sammlung von Juan Valeras Romanen zu verbannen. Um Platz zu gewinnen, nahm ich den Gedichtband aus dem Goldenen Zeitalter heraus, der sie trennte, und stellte an seiner Statt Der Schatten des Windes hinein. Mit einem Augenzwinkern verabschiedete ich mich von dem Roman und stellte die Jovellanos-Bände wieder zurück, so daß sie die erste Reihe zumauerten.
Geführt von meinen Kerben, fand ich ohne weitere Umstände wieder zurück. Während ich im Halbdunkel durch Büchertunnel um Büchertunnel schritt, wurde ich unwillkürlich von einem Gefühl der Trauer und Mutlosigkeit befallen. Ich konnte den Gedanken nicht verhindern, daß, wenn ich in der Unendlichkeit dieser Nekropolis rein zufällig in einem einzigen unbekannten Buch ein ganzes Universum entdeckt hatte, Zehntausende weitere unerforscht und für immer vergessen blieben. Ich spürte Millionen verlassener Seiten, herrenloser Welten und Seelen um mich herum, die in einem Ozean der Dunkelheit untergingen, während die außerhalb dieser Mauern pulsierende Welt Tag für Tag mehr die Erinnerung verlor, ohne es zu merken, und sich um so schlauer fühlte, je mehr sie vergaß.
    Die ersten Lichter der Morgendämmerung zeigten sich, als ich in die Wohnung in der Calle Santa Ana zurückkam. Leise öffnete ich die Tür und glitt über die Schwelle, ohne das Licht anzumachen. Vom Vorzimmer aus sah man am Ende des Gangs im Eßzimmer den noch festlich gedeckten Tisch. Die Torte stand unberührt da, das Geschirr wartete aufs Abendessen. Im Sessel zeichnete sich unbeweglich die Silhouette meines Vaters ab, der aus dem Fenster spähte. Er war wach und trug noch seinen Ausgehanzug. Aus einer Zigarette, die er ungeschickt in den Fingern hielt, stiegen träge Rauchspiralen auf. Seit Jahren hatte ich meinen Vater nicht mehr rauchen sehen.
    »Guten Morgen«, sagte er mit rauher Stimme und drückte die Zigarette in einem mit halb aufgerauchten Stummeln fast bis zum Rand gefüllten Aschenbecher aus.
    Ich schaute ihn an und wußte nicht, was sagen. Im Gegenlicht war sein

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