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Barcelona 01 - Der Schatten des Windes

Barcelona 01 - Der Schatten des Windes

Titel: Barcelona 01 - Der Schatten des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Ruiz Zafon
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würde ich nicht ablehnen, aber ich bin für alles zu haben.«
Auf dem Weg zur Buchhandlung schilderte mir Fermín Romero de Torres all die Abenteuer, die er in diesen Wochen durchlebt hatte, um den staatlichen Sicherheitskräften aus dem Wege zu gehen und ganz besonders seiner persönlichen Nemesis, einem gewissen Inspektor Fumero, mit dem ihn anscheinend eine lange Reihe von Konflikten verband.
»Fumero?« fragte ich und vergegenwärtigte mir, daß das der Name des Soldaten gewesen war, der bei Kriegsausbruch im Kastell des Montjuïc Clara Barcelós Vater umgebracht hatte.
Das Männchen nickte bleich. Er war ausgehungert und schmutzig und stank nach monatelangem Straßenleben. Er hatte keinerlei Vorstellung, wohin ich ihn brachte, und in seinem Blick sah ich eine wachsende Angst, die er mit unablässigem Plappern zu tarnen suchte. Beim Laden angekommen, warf er mir einen besorgten Blick zu.
»Kommen Sie, treten Sie ein. Das ist die Buchhandlung meines Vaters, dem ich Sie vorstellen möchte.«
Der Bettler schrumpfte zu einem Schmutz- und Nervenbündel.
»Nein, nein, keinesfalls, ich bin nicht gesellschaftsfähig, und das ist ein Etablissement von Rang – Sie werden sich wegen mir genieren …«
Mein Vater trat in die Tür, ließ rasch seinen Blick über ihn gleiten und schaute mich dann aus dem Augenwinkel an.
»Papa, das ist Fermín Romero de Torres.«
»Zu dienen«, sagte der Bettler.
Mein Vater lächelte ihm heiter zu und reichte ihm die Hand. Beschämt über sein Aussehen und den Schmutz auf seiner Haut, getraute sich der Bettler nicht, sie zu drücken.
»Ich glaube … , ich glaube, es ist besser, ich gehe und lasse Sie allein«, stammelte er.
Mein Vater faßte ihn sanft am Arm.
»Kommt nicht in Frage, mein Sohn hat mir gesagt, Sie gehen mit uns essen.«
Verdutzt, erschrocken schaute uns der Bettler an.
»Warum gehen Sie nicht in die Wohnung hinauf und nehmen ein schönes heißes Bad?« sagte mein Vater. »Danach spazieren wir zu Can Solé hinunter, wenn es Ihnen recht ist.«
Fermín Romero de Torres stotterte etwas Unverständliches. Immer noch lächelnd, führte ihn mein Vater zur Haustür und mußte ihn von dort mehr oder weniger die Treppe zur Wohnung hinaufschleifen, während ich den Laden schloß. Mit großer Überredungskunst und heimlichem Taktieren gelang es uns, ihm seine Lumpen abzunehmen und ihn in die Badewanne zu stecken. Nackt sah er aus wie auf einem Kriegsfoto und zitterte wie ein gerupftes Huhn. An Handgelenken und Knöcheln hatte er tiefe Brandmale, und sein Oberkörper und der Rücken waren von schrecklichen Narben bedeckt, die den Augen weh taten. Mein Vater und ich wechselten einen entsetzten Blick, sagten aber nichts.
Wie ein Kind ließ sich der Bettler waschen. Während ich in der Truhe frische Kleider für ihn suchte, hörte ich meinen Vater unablässig mit ihm sprechen. Ich fand einen Anzug, den er nie mehr benutzte, ein altes Hemd und etwas Unterwäsche. Von dem, was der Bettler auf dem Leibe getragen hatte, waren nicht einmal mehr die Schuhe zu gebrauchen. Ich suchte ein Paar aus, das meinem Vater zu klein war. Die Lumpen, eingeschlossen eine ledrige lange Unterhose, wickelte ich in Zeitungspapier und warf sie in die Mülltonne. Als ich ins Bad zurückkam, war mein Vater dabei, Fermín Romero de Torres in der Wanne zu rasieren. Er war blaß, roch nach Seife und war um zwanzig Jahre jünger geworden. Offensichtlich hatten sie sich schon angefreundet. Vielleicht unter der Wirkung der Badesalze war wieder Leben in Fermín Romero de Torres gekommen.
»Wissen Sie, Señor Sempere, hätte das Leben nicht gewollt, daß sich meines in der Welt der internationalen Intrige abspielte, so wären die alten Sprachen meine Herzensangelegenheit gewesen. Schon als Kind vernahm ich den Ruf des Verses und wollte Sophokles oder Vergil sein, denn die Tragödie und die toten Sprachen verursachen mir Gänsehaut, doch mein Vater, der in Frieden ruhen möge, war ein kurzsichtiger Klotz und wollte immer, daß eines seiner Kinder in die Guardia civil einträte, und keine meiner sieben Schwestern wäre in der Gendarmerie zugelassen worden, trotz des Problems der Gesichtsbehaarung, die für die Frauen meiner Familie mütterlicherseits immer kennzeichnend war. Auf seinem Totenbett ließ mich mein Vater schwören, daß ich, wenn ich es denn nicht bis zum Dreispitz brächte, allermindestens Beamter würde und jedes Bestreben, meiner Neigung zur Lyrik zu folgen, fallenließe. Ich gehöre der alten Generation an, und

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