Barcelona 01 - Der Schatten des Windes
einem Vater, sei er auch ein Esel, hat man zu gehorchen, Sie verstehen mich. Aber trotzdem dürfen Sie nicht glauben, ich hätte in meinen Abenteurerjahren nur den Kragen riskiert und dabei den Kopf vernachlässigt. Ich habe sehr viel gelesen und könnte Ihnen auswendig Das Leben ein Traum in ausgewählten Fragmenten rezitieren.«
»So, Meister, schlüpfen Sie bitte in diese Kleider, hier zieht niemand Ihre Belesenheit in Zweifel«, sagte ich, um meinem Vater zu Hilfe zu kommen.
Fermín Romero de Torres’ Blick schmolz vor Dankbarkeit. Strahlend entstieg er der Wanne. Mein Vater hüllte ihn in ein Tuch. Der Bettler lachte aus dem purem Vergnügen, den sauberen Stoff auf der Haut zu spüren. Ich half ihm in die Kleider, die ihm etliche Nummern zu groß waren. Mein Vater zog den Gürtel aus und gab ihn mir, damit ich ihn dem Bettler umschnallte.
»Sie sind ja wie aus dem Ei gepellt, nicht wahr, Daniel?« sagte mein Vater.
»Jedermann hielte Sie für einen Filmschauspieler.«
»Nicht doch, man ist nicht mehr, was man einmal war. Im Gefängnis habe ich meine herkulische Muskulatur verloren, und seither …«
»Mir jedenfalls kommen Sie vor wie Charles Boyer mit Ihrer Figur«, warf mein Vater ein. »Und das erinnert mich daran, daß ich Ihnen etwas vorschlagen wollte.«
»Für Sie, Señor Sempere, würde ich töten, wenn es nötig wäre. Sie brauchen mir nur den Namen zu sagen, und ich bringe den Kerl ohne Schmerzen um.«
»Soviel wird nicht nötig sein. Was ich Ihnen anbieten wollte, ist eine Arbeit in der Buchhandlung. Es geht darum, für unsere Kunden seltene Bücher zu suchen. Es ist fast die Stelle eines literarischen Archäologen, der die Klassiker ebenso kennen muß wie die grundlegenden Techniken des Schwarzhandels. Ich kann Ihnen nicht viel zahlen im Moment, aber Sie werden an unserem Tisch essen und, bis wir eine gute Pension finden, Ihre Unterkunft hier bei uns haben, wenn es Ihnen recht ist.«
Stumm schaute uns der Bettler beide an.
»Was meinen Sie?« fragte mein Vater. »Schließen Sie sich dem Team an?«
Ich hatte das Gefühl, Fermín Romero de Torres wollte etwas sagen, doch genau dann brach er in Tränen aus.
Von seinem ersten Lohn kaufte sich Fermín Romero de Torres einen fantasievollen Hut und ein Paar Schuhe für den Regen und bestand darauf, meinen Vater und mich zu einem Ochsenschwanzgericht einzuladen, das jeweils montags in einem Restaurant zwei Straßen von der Plaza Monumental entfernt serviert wurde. In einer Pension in der Calle Joaquín Costa hatte mein Vater ein Zimmer für ihn gefunden, wo sich dank der Freundschaft unserer Nachbarin Merceditas mit der Inhaberin die Formalität des polizeilichen Meldescheins umgehen ließ, so daß Fermín Romero de Torres nicht von Inspektor Fumero und seinen Trabanten beschnüffelt werden konnte. Manchmal kam mir das Bild der schrecklichen Narben in den Sinn, die seinen Oberkörper bedeckten. Ich fühlte mich versucht, ihn danach zu fragen, vielleicht weil ich fürchtete, Inspektor Fumero könnte etwas damit zu tun haben, aber etwas in seinem Blick sagte mir, daß ich das Thema besser nicht zur Sprache brachte. Er würde es uns eines Tages schon selbst erzählen, wenn er es für angezeigt hielte. Stets mit einem Lächeln auf den Lippen erwartete uns Fermín allmorgendlich Punkt sieben Uhr vor der Tür der Buchhandlung, bereit, zwölf oder mehr Stunden durchzuarbeiten. Er hatte eine Leidenschaft für Schokolade und Sahnerollen entwickelt, die seiner Begeisterung für die großen griechischen Tragöden durchaus die Waage hielt, wodurch er etwas zugenommen hatte. Er kämmte die Haare mit Brillantine nach hinten und ließ sich ein wie mit dem Stift gezogenes Schnurrbärtchen stehen, um mit der Mode Schritt zu halten. Dreißig Tage nachdem er unserer Badewanne entstiegen war, war der ehemalige Bettler nicht wiederzuerkennen. Aber mehr noch als mit seiner spektakulären Verwandlung verblüffte er uns recht eigentlich an der Front. Seine detektivischen Instinkte waren von chirurgischer Präzision. Er löste die ausgefallensten Bestellungen in Tagen, wenn nicht in Stunden. Kein Titel, den er nicht gekannt, keine List, die ihm nicht eingefallen wäre, um sich das Buch zu einem guten Preis zu verschaffen. In immer fiktiven Identitäten schlich er sich allein auf Grund seiner Redegewandtheit in die Privatbibliotheken von Herzoginnen der Avenida Pearson und von Liebhabern aus dem Privatklub Círculo Ecuestre ein und brachte es fertig, daß man ihm die Bücher
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