Barcelona 02 - Das Spiel des Engels
dachte ich. Nach seinem Tod hatte Diego Marlasca durch seinen Partner bedeutende Summen verteilen lassen. Das widersprach Salvadors Verdacht, Jaco sei mit dem Geld geflohen. Marlasca hatte persönlich Zahlungen angeordnet und das Geld in dem von der Anwaltskanzlei betreuten Fonds angelegt. Die anderen beiden Zahlungen legten die Vermutung nahe, dass Marlasca kurz vor seinem Tod mit einem Grabsteinbildhauer und irgendeiner undurchsichtigen Figur aus dem Somorrostro-Viertel Umgang gehabt hatte, einen Umgang, der seinen Niederschlag in der Überweisung einer großen Summe gefunden hatte. Verwirrter denn je klappte ich das Heft zu.
Als ich wieder gehen wollte und mich umdrehte, sah ich, dass an einer der Wände der Bibliothek auf dem granatroten Samt lauter gerahmte Fotografien hingen. Ich trat näher heran und erkannte das mürrische, Ehrfurcht gebietende Gesicht des Patriarchen Valera, dessen Ölbild noch immer das Büro seines Sohnes dominierte. Auf den meisten Bildern sah man den Anwalt mit einer Reihe herausragender Männer und Patrizier der Stadt bei offenbar verschiedenen gesellschaftlichen Veranstaltungen. Man brauchte nur ein Dutzend dieser Porträts anzuschauen und einige von denen, die lächelnd zusammen mit dem alten Anwalt posierten, zu identifizieren, um festzustellen, dass die Kanzlei Valera, Marlasca und Sentis ein wichtiges Rad im Getriebe der Stadt Barcelona war. Valeras Sohn erschien ebenfalls auf einigen Bildern, viel jünger, aber zweifelsfrei zu erkennen, immer im Hintergrund, immer im Schatten des Vaters.
Ich spürte es, bevor ich es sah. Auf dem Bild waren Vater und Sohn Valera zu sehen. Es war vor dem Haus der Kanzlei aufgenommen worden. Neben ihnen stand ein großer, distinguierter Herr. Sein Gesicht tauchte auch auf vielen anderen Fotografien der Sammlung auf, immer an der Seite von Valera. Diego Marlasca. Ich konzentrierte mich auf diesen trüben Blick, das schmale, gelassene Gesicht, das mich aus dieser fünfundzwanzig Jahre alten Momentaufnahme betrachtete. Er war nicht um einen Tag gealtert. Als mir meine Naivität klar wurde, musste ich bitter lächeln. Dieses Gesicht war nicht das auf der Fotografie, die mir mein Freund, der alte Expolizist, gegeben hatte.
Der Mann, den ich als Ricardo Salvador kannte, war niemand anders als Diego Marlasca.
15
Das Treppenhaus lag im Dunkeln, als ich den Palast der Familie Valera verließ. Ich tastete mich durch die Eingangshalle, und als ich die Tür öffnete, warfen die Straßenlaternen ein Viereck blauen Lichts herein, an dessen Ende mir der Blick des Pförtners begegnete. Leichten Schrittes entfernte ich mich in Richtung Calle Trafalgar, wo die Nachtstraßenbahn zum Friedhof von Pueblo Nuevo abfuhr, dieselbe, in der ich meinen Vater so oft zu seiner Schicht bei der Stimme der Industrie begleitet hatte.
Sie war so gut wie leer, und ich setzte mich nach vorne. Je näher wir dem Pueblo Nuevo kamen, desto dichter wurde das Geflecht aus dunklen, von großen Pfützen übersäten Straßen. Sie waren kaum beleuchtet, und die Scheinwerfer der Straßenbahn ließen die Konturen Stück für Stück hervortreten wie eine Fackel in einem Tunnel. Schließlich erblickte ich das Friedhofstor, und vor einem endlosen, den Himmel rot und schwarz sprenkelnden Horizont von Fabriken und Schloten zeichneten sich Kreuze und Statuen ab. Ein Rudel ausgehungerter Hunde streunte vor den beiden großen Engeln herum, die das Friedhofsgelände bewachten. Einen Augenblick starrten sie reglos in die Lichter der Straßenbahn, die Augen entzündet wie die von Schakalen, dann verloren sie sich in den Schatten.
Ich sprang von der noch fahrenden Bahn ab, worauf sie sich wie ein Schiff im Nebel immer schneller entfernte, und ging die Friedhofsmauern entlang. Ich konnte die Hunde hören und riechen, die mir in der Dunkelheit nachliefen. Hinter dem Friedhof blieb ich an der Ecke der Gasse stehen und warf einen Stein nach den Tieren. Mit gellendem Gewinsel verschwanden sie in der Nacht. Die Gasse war nur ein schmaler Durchgang zwischen der Mauer und der endlosen Reihe von Steinmetzbetrieben. In etwa dreißig Meter Entfernung schaukelte im ockerfarbenen staubigen Licht einer Laterne das Schild von Sanabre und Söhne. Ich ging zur Tür, die aus einem mit Ketten und einem rostigen Vorhängeschloss gesicherten Gitter bestand. Ich schoss das Schloss mit der Pistole auf.
Vom anderen Ende der Gasse trug der Wind den Salpetergeruch des Meeres herbei, das sich kaum hundert Meter von hier
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