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Barcelona 02 - Das Spiel des Engels

Barcelona 02 - Das Spiel des Engels

Titel: Barcelona 02 - Das Spiel des Engels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Ruiz Zafón
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die diejenige von Diego Marlasca gerettet hat?«
    Die Frau lächelte.
    »Es gibt weder Seelen noch Rettungen, Señor Martín. Das sind alte Märchen und Geschwätz. Das Einzige, was es gibt, sind Asche und Erinnerungen, die werden wohl dort sein, wo Marlasca sein Verbrechen begangen hat, das Verbrechen, das er all diese Jahre verborgen hat, um das Schicksal an der Nase herumzuführen.«
    »Das Haus mit dem Turm … Ich habe fast zehn Jahre dort gelebt, und da ist nichts.«
    Sie lächelte wieder, sah mir fest in die Augen und küsste mich auf die Wange. Ihre Lippen waren eisig wie die einer Leiche. Ihr Atem roch nach verwelkten Blumen.
    »Vielleicht haben Sie nicht da gesucht, wo Sie hätten suchen müssen«, raunte sie mir ins Ohr. »Vielleicht ist diese gefangene Seele die Ihre.«
    Dann löste sie das Tuch um ihren Hals, und eine lange Narbe kam zum Vorschein. Diesmal war das Lächeln ein böses Grinsen, und die Augen leuchteten mit einem grausamen, spöttischen Glanz.
    »Bald wird die Sonne aufgehen. Gehen Sie, solange Sie können«, sagte die Hexe von Somorrostro, kehrte mir den Rücken zu und sah wieder ins Feuer.
    In der Tür erschien der Junge im schwarzen Anzug und reichte mir die Hand zum Zeichen, dass meine Zeit um sei. Ich stand auf und folgte ihm. Als ich mich umdrehte, sah ich überraschend mein Bild in einem Spiegel an der Wand. Darin sah man die gebeugte, in Lumpen gehüllte Gestalt einer am Feuer sitzenden Greisin. Ihr dunkles, bitteres Lachen begleitete mich hinaus.
     

 17
    Als ich zum Haus mit dem Turm kam, wurde es allmählich Tag. Das Schloss der Haustür war defekt. Ich schob sie auf und trat in die Eingangshalle. Der Verriegelungsmechanismus auf der Rückseite der Tür dampfte und verströmte einen intensiven Säuregeruch. Langsam stieg ich die Treppe hinauf, fest überzeugt, dass Marlasca auf dem dunklen Absatz auf mich warten oder mir, wenn ich mich umwandte, von unten zulächeln würde. Oben bemerkte ich, dass auch das Schlüsselloch der Wohnungstür Säurespuren aufwies. Ich steckte den Schlüssel hinein und musste mich mehrere Minuten lang abmühen, um es aufzukriegen – der Mechanismus war zwar beschädigt, aber offensichtlich nicht zu knacken gewesen. Ich zog den leicht verätzten Schlüssel heraus, stieß die Tür auf, die ich offen ließ, und trat in den Korridor, ohne aus dem Mantel zu schlüpfen. Dann zog ich die Pistole aus der Tasche und öffnete die Trommel, um die leeren Hülsen durch neue Kugeln zu ersetzen, so, wie ich es immer bei meinem Vater gesehen hatte, wenn er im Morgengrauen nach Hause kam. »Salvador?«, rief ich.
    Das Echo meiner Stimme hallte in der Wohnung wider. Ich spannte die Pistole. Dann ging ich weiter durch den Korridor bis zum Zimmer an seinem Ende. Die Tür war nur angelehnt.
    »Salvador?«, rief ich noch einmal.
    Ich richtete die Waffe auf die Tür und versetzte dieser einen Fußtritt. Drinnen war keine Spur von Marlasca zu sehen, nur der Stapel Kisten und das an der Wand aufgehäufte Gerümpel. Wieder drang mir dieser Geruch in die Nase, der durch die Mauern zu sickern schien. Ich trat zum Schrank an der hinteren Wand, öffnete die Türen weit und nahm die alten Kleider von den Bügeln. Der feuchtkalte Luftzug aus dem Loch in der Rückwand strich mir übers Gesicht. Was immer Marlasca in diesem Haus versteckt haben mochte, es befand sich jenseits der Mauer.
    Ich steckte die Pistole wieder in die Tasche und zog den Mantel aus. Dann griff ich zwischen die Rückseite des Schranks und die Wand, fasste die Kante und zog ihn mit aller Kraft nach vorn. Mit dem ersten Ruck schaffte ich einige Zentimeter, sodass ich den Schrank fester in den Griff bekam und erneut ziehen konnte. Er bewegte sich fast eine Handbreit. Nun rückte ich ihn weiter ab, bis die Wand dahinter sichtbar wurde und ich genügend Platz hatte, um mich in die entstandene Lücke zu zwängen. Mit der Schulter lehnte ich mich an ihn und schob ihn vollständig an die angrenzende Wand. Einen Augenblick schöpfte ich Atem, dann musterte ich die Mauer. Sie war in einem Ocker gestrichen, das sich von der Farbe der übrigen Wände unterschied. Unter dem Anstrich konnte man ungeglätteten, lehmigen Mörtel erahnen. Als ich dagegen klopfte, wurde schnell klar, dass es sich um keine tragende Wand handelte und dass es auf der anderen Seite irgendetwas geben musste. Ich presste den Kopf an die Wand und horchte. Da vernahm ich ein Geräusch – Schritte, die durch den Korridor näher kamen … Leise wandte

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