Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Barcelona 02 - Das Spiel des Engels

Barcelona 02 - Das Spiel des Engels

Titel: Barcelona 02 - Das Spiel des Engels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Ruiz Zafón
Vom Netzwerk:
entgegen. Der Buchhalter bekam einen Hustenanfall, und der Verwalter, der mit skeptischem, kritischem Gesicht gekommen war, hielt sich ein Taschentuch vor den Mund.
    »Sie zuerst«, lud er mich ein.
    Die Eingangshalle war eine Art Innenhof nach Art der alten Paläste in diesem Viertel, mit großen Steinplatten und einer breiten, zum Haupteingang hinaufführenden Steintreppe. In der Höhe blinzelte ein vollständig von Tauben- und Möwenkot verkrustetes gläsernes Oberlicht.
    »Jedenfalls gibt es hier keine Ratten«, verkündete ich beim Betreten des Hauses.
    »Da muss jemand einen guten Geschmack und gesunden Menschenverstand gehabt haben«, sagte der Verwalter hinter mir.
    Wir stiegen die Treppe hinauf bis zum Absatz vor der Wohnung im ersten Stock, wo der Buchhalter zehn Minuten benötigte, um den passenden Schlüssel zu finden. Der Mechanismus gab mit einem Ächzen nach, das nicht unbedingt wie ein Willkommensgruß klang. Die Tür ging auf und gab die Sicht auf einen endlosen Korridor voller Spinnweben frei, die im Dunkeln zitterten.
    »Heilige Muttergottes«, murmelte der Verwalter.
    Niemand wagte den ersten Schritt, sodass ich auch diesmal die Expedition anführen musste. Der Sekretär hielt die Lampe in die Höhe und betrachtete alles mit gequälter Miene.
    Verwalter und Buchhalter schauten sich geheimnisvoll an. Als er sah, dass ich sie beobachtete, lächelte der Mann von der Bank sanft.
    »Ein bisschen Staubwischen und ein paar Reparaturen, und Sie haben einen Palast«, sagte er.
    »Blaubarts Palast«, ergänzte der Verwalter.
    »Sehen wir es doch positiv«, wiegelte der Buchhalter ab. »Das Haus ist seit einiger Zeit unbewohnt, und so was hat immer einige Schäden zur Folge.«
    Ich achtete kaum auf sie. Ich hatte so oft von diesem Haus geträumt, wenn ich daran vorbeigegangen war, dass ich seine Gruftatmosphäre kaum wahrnahm. Durch den Hauptkorridor weiter gehend, erforschte ich die Zimmer und Kammern mit ihren alten Möbeln, auf denen eine dicke Staubschicht lag. Auf dem fadenscheinigen Tuch eines Tisches standen Tafelgeschirr und ein Tablett mit versteinerten Früchten und Blumen. Gläser und Besteck erweckten den Eindruck, die Hausbewohner wären mitten im Abendessen aufgebrochen.
    Die Schränke waren vollgestopft mit abgetragener Wäsche, verschossenen Kleidungsstücken und Schuhen. Es gab schubladenweise Fotografien, Augengläser, Federn und Uhren. Von den Kommoden her betrachteten uns staubverhüllte Bilder. Die Betten waren ordentlich gemacht und lagen unter einem weißen, im Dämmerlicht glänzenden Schleier. Auf einem Mahagonitisch ruhte ein riesiges Grammophon. Die Nadel war auf der Schallplatte bis zur Mitte geglitten. Ich blies den Staub weg, um das Etikett zu lesen: das Lacrimosa von Mozart.
    »Ein Sinfonieorchester im Haus«, sagte der Buchhalter. »Herz, was begehrst du mehr? Sie werden hier wie ein Pascha leben.«
    Der Verwalter warf ihm einen mordlustigen Blick zu und schüttelte den Kopf. Wir untersuchten die ganze Wohnung bis zur nach hinten hinausgehenden Veranda, wo auf einem Tisch ein Kaffeeservice stand und in einem Sessel ein aufgeschlagenes Buch darauf wartete, umgeblättert zu werden.
    »Sieht aus, als wären sie urplötzlich auf und davon, ohne noch etwas mitnehmen zu können«, sagte ich.
    Der Buchhalter räusperte sich.
    »Möchte der Herr vielleicht das Arbeitszimmer sehen?«
    Das Arbeitszimmer befand sich in einem spitzen Turm, einer eigentümlichen Konstruktion, deren Kern eine vom Hauptkorridor ausgehende Wendeltreppe war und auf deren Wänden die Spuren so vieler Generationen zu lesen waren wie in der Erinnerung der Stadt festgeschrieben. Er thronte wie ein Aussichtsturm über den Dächern des Ribera-Viertels und mündete in eine kleine Laterne aus Buntmetall und -glas, die von einer Wetterfahne in Gestalt eines Drachens gekrönt war.
    Über die Treppe gelangten wir zum Wohnzimmer, wo der Buchhalter die großen Fenster aufriss, um Luft und Licht hereinzulassen. Es war ein rechteckiger Raum mit hoher Decke und dunklem Holzboden. Von den vier Fenstern aus sah man auf die Kathedrale Santa Maria del Mar im Süden, den großen Born-Markt im Norden, den alten Francia-Bahnhof im Osten und im Westen auf das unendliche Gewirr von Straßen und Alleen, die sich zum Tibidabo-Hügel hin drängten.
    »Na, was sagen Sie? Ein Wunder«, rief der Mann von der Bank begeistert.
    Der Verwalter sah sich zurückhaltend und verdrießlich um. Sein Sekretär hielt die Lampe immer noch hoch, obwohl

Weitere Kostenlose Bücher