Barcelona 02 - Das Spiel des Engels
dem Deckel waren noch die Flecken von meinem Blut zu sehen. »Danke«, murmelte ich.
9
Señor Sempere setzte seine Präzisionsbrille auf, um das Buch zu untersuchen. Auf seinem Schreibtisch im Hinterzimmer bettete er es auf ein Tuch und richtete das Licht der Bogenlampe darauf. Seine fachkundige Analyse dauerte mehrere Minuten. Andächtig schweigend, schaute ich zu, wie er die Seiten wendete und beschnupperte, mit den Fingern über das Papier und den Rücken strich, das Buch in der einen und dann in der anderen Hand abwog, schließlich den Deckel zuklappte und mit einer Lupe die Blutflecken untersuchte, die meine Finger zwölf oder dreizehn Jahre zuvor hinterlassen hatten.
»Unglaublich«, flüsterte er und nahm die Brille ab. »Es ist dasselbe Buch. Was haben Sie gesagt, wie Sie es zurückbekommen haben?«
»Ich weiß es selber nicht. Señor Sempere, was wissen Sie von einem französischen Verleger namens Andreas Corelli?«
»Zunächst einmal klingt das eher italienisch als französisch, Andreas freilich scheint griechisch zu sein …«
»Der Verlag sitzt in Paris. Éditions de la Lumière.«
Sempere dachte einige Augenblicke nach und zögerte.
»Ich fürchte, das sagt mir nichts. Ich werde Barceló fragen, der weiß alles. Vielleicht kann er weiterhelfen.«
Gustavo Barceló war einer der Doyens der Barceloneser Antiquarenzunft, und sein enzyklopädisches Wissen war ebenso legendär wie sein etwas grantiger, pedantischer Charakter. Unter Fachleuten konsultierte man im Zweifelsfall Barceló. In diesem Augenblick steckte Semperes Sohn, der zwar zwei oder drei Jahre älter war als ich, aber nach wie vor so schüchtern, dass er sich manchmal regelrecht unsichtbar machte, den Kopf herein und gab seinem Vater ein Zeichen.
»Vater, da holt jemand eine Bestellung ab, die, glaube ich, Sie aufgenommen haben.«
Der Buchhändler nickte und reichte mir einen dicken, rundum abgegriffenen Band.
»Das ist das jüngste Gesamtverzeichnis der europäischen Verleger. Schauen Sie doch inzwischen schon mal, ob Sie was finden.«
Ich blieb im Hinterzimmer allein und suchte vergeblich die Éditions de la Lumière, während Sempere vorn bediente. Beim Durchblättern des Kataloges hörte ich eine Frauenstimme mit ihm sprechen, die mir vertraut vorkam. Als der Name Pedro Vidal fiel, schaute ich neugierig hinüber.
Cristina Sagnier, Tochter des Fahrers und Sekretärin meines Mentors, ging einen Stapel Bücher durch, die Sempere ins Verkaufsregister eintrug. Als sie mich erblickte, lächelte sie höflich, aber ganz offensichtlich erkannte sie mich auch diesmal nicht. Sempere schaute auf, und als er meinen dümmlichen Blick auffing, erstellte er rasch ein Röntgenbild der Situation.
»Sie kennen sich schon, nicht wahr?«, fragte er.
Cristina zog überrascht die Brauen hoch und schaute mich erneut an, konnte mich aber nicht einordnen.
»David Martín. Ein Freund von Don Pedro«, sagte ich.
»Ach ja, natürlich. Guten Tag.«
»Wie geht es Ihrem Vater?«, fragte ich.
»Gut, gut. Er wartet an der Ecke im Wagen auf mich.«
Sempere, der jede Gelegenheit beim Schopf packte, mischte sich ein.
»Señorita Sagnier ist hier, um einige Bücher abzuholen, die Vidal bestellt hat. Sie sind ziemlich schwer, vielleicht könnten Sie so freundlich sein und sie ihr zum Auto tragen.«
»Bemühen Sie sich nicht …«, protestierte Cristina.
»Aber selbstverständlich«, platzte ich heraus und wollte den Stapel hochheben, der etwa so viel wog wie die Luxusausgabe der Encyclopaedia Britannica mitsamt Ergänzungsbänden.
Ich spürte, wie in meinem Rücken etwas knackte, und Cristina schaute mich erschrocken an.
»Geht es Ihnen gut?«
»Haben Sie keine Angst, Señorita. Der liebe Martín ist bärenstark, obwohl er ein Literat ist«, sagte Sempere. »Stimmt doch, oder, Martín?«
Cristina schaute mich wenig überzeugt an. Ich setzte das Lächeln des unbesiegbaren Machos auf.
»Nichts als Muskeln. So etwas mach ich zum Aufwärmen.«
Sempere junior erbot sich, die Hälfte der Bücher zu tragen, aber in einer diplomatischen Anwandlung fasste ihn sein Vater am Arm. Cristina hielt mir die Tür auf, und ich nahm die fünfzehn oder zwanzig Meter zu dem an der Ecke des Portal del Ángel geparkten Hispano-Suiza in Angriff. Mit größter Mühe schaffte ich die Strecke, kurz bevor meine Arme in Flammen aufgingen. Manuel, der Fahrer, half mir beim Einladen und grüßte mich herzlich.
»Was für ein Zufall, Sie hier zu sehen, Señor
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