Barcelona 02 - Das Spiel des Engels
sie gar nicht mehr nötig war. Ich trat an eines der Fenster und schaute verzaubert zum Himmel hinauf.
Zu meinen Füßen erstreckte sich ganz Barcelona, und ich stellte mir vor, wenn ich diese meine neuen Fenster öffnete, würden mir die Straßen in der Abenddämmerung Geschichten und Geheimnisse ins Ohr raunen, damit ich sie auf Papier bannte und allen erzählte, die sie hören wollten. Vidal hatte in den elegantesten Gefilden von Pedralbes inmitten von Hügeln, Bäumen und Wolken seinen herrschaftlichen Elfenbeinturm. Ich würde einen unheimlichen Festungsturm haben, der sich über die ältesten Straßen der Stadt erhob und von dem Pesthauch und der Finsternis eines Gräberfeldes umgeben war, das Dichter wie Mörder die »Feuerrose« genannt hatten.
Was am Schluss den Ausschlag gab, war der Schreibtisch in der Mitte des Arbeitszimmers. Darauf stand wie eine große Metall- und Lichtskulptur eine Underwood-Schreibmaschine, für die allein ich schon die Miete bezahlt hätte. Ich setzte mich in den majestätischen Sessel vor dem Tisch und strich lächelnd über die Tasten. »Ich nehme es.«
Der Buchhalter seufzte erleichtert, der Verwalter verdrehte die Augen und bekreuzigte sich. Noch am selben Nachmittag unterschrieb ich einen Mietvertrag für zehn Jahre. Während die Arbeiter der Elektrizitätsgesellschaft überall Stromleitungen verlegten, begann ich mithilfe eines Trupps aus drei Dienern, die mir Vidal ungefragt geschickt hatte, die Wohnung zu putzen, aufzuräumen und herzurichten. Bald stellte ich fest, dass der Modus Operandi der Elektriker darin bestand, aufs Geratewohl Löcher zu bohren und dann zu fragen. Drei Tage nach ihrem Eintreffen brannte in der Wohnung noch keine einzige Glühbirne, aber dafür sah sie aus, als wäre sie von Gips und Mineralien fressendem Gewürm befallen.
»Gibt es keine andere Art, das zu lösen?«, fragte ich den Bataillonschef, der alles mit dem Hammer regelte.
Otilio, wie diese Naturbegabung hieß, zeigte mir Pläne des Hauses, die mir der Verwalter zusammen mit den Schlüsseln ausgehändigt hatte, und argumentierte, schuld sei das Haus, es sei schlecht gebaut.
»Schauen Sie da«, sagte er. »Wenn was verpfuscht ist, dann ist es eben verpfuscht. Gleich hier. Hier steht, Sie hätten eine Zisterne auf der Dachterrasse. Nee. Die haben Sie im Hinterhof.«
»Na und? Für die Zisterne sind nicht Sie zuständig, Otilio. Konzentrieren Sie sich auf das Elektrische. Strom. Keine Hähne und Rohrleitungen. Strom. Ich brauche Licht.«
»Das hängt eben alles zusammen. Was sagen Sie zur Veranda?«
»Sie hat keinen Strom.«
»Laut den Plänen sollte das eine tragende Wand sein. Aber der Kollege Remigio da hat sie nur leicht getätschelt, und die halbe Mauer ist zusammengekracht. Und von den Zimmern ganz zu schweigen. Laut dem Plan da hat das Zimmer am Ende des Gangs fast vierzig Quadratmeter. Nicht im Traum. Wenn es auf zwanzig kommt, können wir von Glück sagen. Da gibt es eine Wand, wo es gar keine geben dürfte. Und von den Abflüssen, na ja, da fangen wir besser gar nicht erst an. Kein einziger ist da, wo er angeblich sein soll.«
»Sind Sie sicher, dass Sie die Pläne richtig interpretieren?«
»Na hören Sie mal, ich bin vom Fach. Glauben Sie mir, dieses Haus ist eine harte Nuss. Da hat Hinz und Kunz dran rumgefummelt.«
»Tja, Sie werden mit den Dingen zurechtkommen müssen, wie sie sind. Wirken Sie ein Wunder oder was auch immer, aber am Freitag will ich die Wände vergipst und gestrichen und Strom haben.«
»Machen Sie keinen Druck, das ist Präzisionsarbeit. Da muss man strategisch vorgehen.«
»Und was haben Sie vor?«
»Zunächst mal frühstücken gehen.«
»Aber Sie sind doch erst vor einer halben Stunde gekommen.«
»Señor Martín, mit dieser Einstellung kommen wir nicht weiter.«
Das Trauerspiel von Bauarbeiten und Pfuschereien dauerte eine Woche länger als vorgesehen, aber selbst mit Otilio und seinen Wunderknaben, die an Unorten Löcher bohrten und zweieinhalbstündige Frühstückspausen einlegten, hätte ich vor lauter Vorfreude, endlich in diesem Traumhaus zu wohnen, notfalls Jahre bei Kerzen- und Öllicht verbracht. Zu meinem Glück war das Ribera-Viertel nicht nur ein geistiges Reservoir, sondern verfügte auch über Handwerker aller Art. Einen Katzensprung von meinem neuen Domizil entfernt fand ich einen, der mir neue Schlösser installierte, die nicht aussahen wie von der Bastille abgeschraubt, sowie Wandleuchten und Armaturen. Die Vorstellung,
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