Barcelona 02 - Das Spiel des Engels
athletischen Veranlagung weniger befähigt war. Die Ménage-à-trois wurde vervollständigt durch Herminia, ihre Direktionssekretärin, die ihnen wie ein treuer Hund überallhin folgte und von allen nur die Giftige genannt wurde, da ihr, obwohl sie wie eine tote Mücke aussah, so wenig zu trauen war wie einer paarungswütigen Klapperschlange.
Abgesehen von Höflichkeitsbesuchen versuchte ich die drei so wenig wie möglich zu sehen. Wir pflegten eine streng kaufmännische Beziehung, und keine der Parteien verspürte den dringenden Wunsch, das festgesetzte Protokoll zu verändern. Ich hatte mir vorgenommen, die Chance zu nutzen und hart zu arbeiten, um Vidal – und mir selbst – zu beweisen, dass ich seine Hilfe und sein Vertrauen verdiente. Sobald ich das erste Geld in der Hand hatte, beschloss ich, Doña Carmens Pension zu verlassen und nach komfortableren Umgebungen Ausschau zu halten. Schon seit langem hatte ich ein Auge auf einen wuchtig wirkenden Kasten, Nummer 30 in der Calle Flassaders, geworfen, einen Steinwurf vom Paseo del Born entfernt, an dem ich auf dem Weg zur Zeitung jahrelang täglich vorbeigekommen war. Das Haus, aus dessen mit Reliefs und Wasserspeiern geschmückter Fassade ein Turm wuchs, war seit Jahren verschlossen, die Tür strotzte vor Ketten und rostzerfressenen Vorhängeschlössern. Trotz seiner Größe und gruftartigen Anmutung, oder vielleicht gerade deswegen, weckte die Vorstellung, darin zu wohnen, in mir eine ähnliche Wollust wie verbotene Gedanken. Unter anderen Umständen hätte ich mich damit abgefunden, dass eine solche Behausung mein mageres Budget bei weitem überschritt, aber die langen Jahre der Verlassen- und Vergessenheit, zu denen sie verdammt schien, nährten in mir die Hoffnung, ihre Eigentümer würden mein Angebot, da niemand sonst Anspruch darauf erhob, annehmen.
Meine Umfrage im Viertel ergab, dass das Haus seit Jahren leer stand und sich in der Hand eines Immobilienverwalters namens Vicenc Clavé mit Büros in der Calle Comercio gegenüber dem Markt befand. Clavé war ein Kavalier alter Schule, der sich im Stil der Bürgermeisterstatuen und Vaterlandshelden, die man vor dem Ciudadela-Park traf, kleidete und sich, eh man sich’s versah, in eine hochtrabende Rhetorik stürzte, die weder Gott noch die Welt verschonte.
»So, so, Schriftsteller sind Sie. Tja, ich könnte Ihnen viele Geschichten erzählen, die Stoff für interessante Bücher abgäben.«
»Das bezweifle ich nicht. Warum beginnen Sie nicht mit dem Haus Nummer 30 in der Calle Flassaders?«
Clavés Gesicht wurde zur griechischen Maske.
»Das Haus mit dem Turm?«
»Genau.«
»Glauben Sie mir, junger Mann, kommen Sie mir nicht auf die Idee, dort zu wohnen.« »Warum denn nicht?«
Clavé senkte die Stimme, als befürchtete er, die Wände hätten Ohren, und murmelte in düsterem Ton: »Dieses Haus bringt Unglück. Ich habe es mir angesehen, als wir es mit dem Notar versiegelten, und ich kann Ihnen versichern, dagegen ist der alte Teil des Montjuic-Friedhofs geradezu heiter. Seitdem steht es leer. Das Haus ist voll schlechter Erinnerungen. Niemand will es haben.«
»Seine Erinnerungen können nicht schlechter sein als meine, und sicher werden sie den Preis drücken, der dafür verlangt wird.«
»Manches hat einen Preis, der nicht mit Geld zu bezahlen ist.«
»Kann ich es besichtigen?«
Ich besuchte das Haus mit dem Turm zum ersten Mal an einem Märzvormittag in Gesellschaft des Verwalters, seines Sekretärs und eines Buchhalters der Bank, die das Eigentumsrecht innehatte. Anscheinend hatte es um die Liegenschaft jahrelang verwickelte, schmutzige Rechtsstreitigkeiten gegeben, bis sie schließlich an das Kreditunternehmen zurückfiel, das für ihren letzten Eigentümer die Bürgschaft übernommen hatte. Wenn Clavé die Wahrheit sagte, hatte das Haus mindestens zwanzig Jahre lang niemand mehr betreten.
8
Als ich Jahre später den Bericht einiger britischer Forscher las, die in der Dunkelheit eines tausendjährigen ägyptischen Grabes in ein Labyrinth von Verwünschungen eingedrungen waren, sollte ich mich an den ersten Besuch im Haus mit dem Turm in der Calle Flassaders erinnern. Der Sekretär war mit einer Öllampe ausgerüstet – im Haus waren nie elektrische Leitungen gelegt worden. Der Buchhalter hatte einen Satz von fünfzehn Schlüsseln bei sich, um die Ketten von den unzähligen Vorhängeschlössern zu befreien. Als er die Haustür öffnete, strömte uns ein feuchtfauliger Grabesgeruch
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