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Barcelona 02 - Das Spiel des Engels

Barcelona 02 - Das Spiel des Engels

Titel: Barcelona 02 - Das Spiel des Engels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Ruiz Zafón
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Telefon zu haben, überzeugte mich nicht, und nach dem, was ich aus Vidals Rundfunkempfänger gehört hatte, zählte ich nicht zum anvisierten Publikum der von der Presse so apostrophierten »Wellenübertragungsmaschinen«. Ich beschloss, mich mit Büchern und Stille zu umgeben. Aus der Pension nahm ich nichts weiter mit als etwas frische Wäsche und das Kästchen mit der Pistole meines Vaters, das einzige Andenken an ihn. Meine restlichen Kleider und persönlichen Gebrauchsgegenstände verteilte ich an die anderen Pensionsgäste. Hätte ich auch Haut und Erinnerung zurücklassen können, ich hätte es getan.
    An dem Tag, als der erste Band der Stadt der Verdammten erschien, verbrachte ich meine erste Nacht in dem elektrifizierten Haus mit Turm. Der Roman war eine frei erfundene, verwickelte Geschichte rund um den ›Träumerei‹-Brand von 1903 und ein geisterhaftes Geschöpf, das seither durch die Straßen des Raval spukte. Noch bevor die Druckerschwärze der Erstausgabe trocken war, begann ich schon die Arbeit am zweiten Roman der Reihe. Nach meinen Berechnungen musste Ignatius B. Samson bei monatlich dreißig Tagen ununterbrochener Arbeit im Durchschnitt täglich 6,66 taugliche Manuskriptseiten produzieren, um den Vertrag zu erfüllen, was ein Wahnsinn war, aber den Vorteil hatte, dass mir nicht viel Freizeit blieb, um mir dessen bewusst zu sein.
    Ich merkte kaum, dass ich, während die Tage dahingingen, allmählich mehr Kaffee und Zigaretten konsumierte als Sauerstoff. Je mehr ich mein Hirn vergiftete, desto mehr hatte ich den Eindruck, es werde zu einer Dampfmaschine, die gar nicht mehr abkühlte. Ignatius B. Samson war jung und zäh. Ich arbeitete die ganze Nacht und sank in der Morgendämmerung wie gerädert in seltsame Träume, in denen sich die Buchstaben auf dem Blatt in der Schreibmaschine vom Papier lösten und wie Spinnen über meine Hände und mein Gesicht liefen, durch die Haut drangen und sich in meinen Adern einnisteten, bis mein Herz schwarz überzogen war und mein Blick mit dunklen Tintenpfützen umwölkt. Wochenlang verließ ich das alte Haus kaum und vergaß, welcher Tag und welcher Monat es war. Ich schenkte den Kopfschmerzen keine Beachtung, die mich immer wieder schlagartig befielen, als bohrte sich mir ein Metallstichel in den Schädel, und mir mit einem weißen Blitz die Sicht versengten. Ich hatte mich daran gewöhnt, mit einem dauernden Pfeifen in den Ohren zu leben, das nur das Raunen des Windes oder der Regen übertönen konnte. Wenn kalter Schweiß mein Gesicht bedeckte und meine Hände auf der Tastatur der Underwood zitterten, nahm ich mir manchmal vor, am nächsten Tag den Arzt aufzusuchen. Doch dann galt es, an diesem Tag wieder eine weitere Szene und eine weitere Geschichte zu erzählen.
    Als Ignatius B. Samson ein Jahr alt wurde, beschloss ich, mir zu seinem Geburtstag einen freien Tag zu schenken und mich wieder mit der Sonne, dem Wind und den Straßen der Stadt auszusöhnen, die ich nicht mehr betreten hatte, um sie mir nur noch in der Phantasie vorzustellen. Ich rasierte mich, machte mich zurecht und schlüpfte in meinen besten Anzug. Ich öffnete die Fenster des Arbeitszimmers und der Veranda, um die Wohnung durchzulüften und den dichten Dunst, der zu ihrem ureigenen Geruch geworden war, in alle Winde zu zerstreuen. Als ich auf die Straße hinunterging, steckte in der Spalte unter dem Briefkasten ein großer Umschlag. Darin fand ich ein Blatt Pergament mit dem Engelssiegel und folgenden Worten in der bekannten erlesenen Handschrift:
    Lieber David,
    ich wollte der Erste sein, der Sie in diesem neuen Abschnitt Ihrer Karriere beglückwünscht. Ich habe die Lektüre der ersten Folgen von Die Stadt der Verdammten außerordentlich genossen. Ich haue darauf, dass Ihnen dieses kleine Geschenk zusagt.
    Noch einmal drücke ich Ihnen hiermit meine Bewunderung aus und den Wunsch, dass sich eines Tages unsere Wege kreuzen. In der Gewissheit, dass dem so sein wird, grüßt Sie herzlich Ihr Freund und Leser
    Andreas Corelli
     
    Das Geschenk bestand in dem Exemplar der Großen Erwartungen, das mir Señor Sempere in meiner Kindheit erst geschenkt und das ich ihm dann zurückgegeben hatte, bevor mein Vater es finden konnte, demselben, das an dem Tag, da ich es nach Jahren zu jedem Preis zurückkaufen wollte, in den Händen eines Fremden verschwunden war. Ich betrachtete den Block Papier, der für mich vor nicht allzu langer Zeit die ganze Magie und alles Licht der Welt enthalten hatte. Auf

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