Barcelona 02 - Das Spiel des Engels
zu sehen, ob er mich auf den Arm nahm.
»Und was hat sie gesagt?«
»Das wirst du nicht gern hören.«
»Schießen Sie schon los.«
»Sie hat es nicht mit diesem Wort gesagt, aber ich glaubte zu verstehen, dass sie nicht begreift, warum du dich mit Schundromanen für diese zwei Gauner prostituierst und dein Talent und deine Jugend zum Fenster hinauswirfst.«
Es fühlte sich an, als hätte Vidal mir einen Dolch aus Eis in den Magen gestoßen.
»Das denkt sie also?«
Er zuckte die Schultern.
»Von mir aus kann sie sich zum Teufel scheren.«
Ich arbeitete jeden Tag außer sonntags. Da schlenderte ich dann durch die Straßen und endete fast immer in einem Weinkeller in der Avenida del Paralelo, wo man leicht in den Armen einer anderen einsamen, erwartungsvollen Seele flüchtige Gesellschaft und Zuneigung fand. Bis zum Morgen danach, wenn ich neben einer von ihnen erwachte und in ihr eine Fremde entdeckte, wollte ich nie wahrhaben, dass sie sich alle glichen, in der Hautfarbe, dem Gang, einer Geste oder einem Blick. Um das schneidende Schweigen des Abschieds zu ersticken, fragten mich diese Damen für eine Nacht über kurz oder lang immer, womit ich mein Brot verdiene, und wenn mich die Eitelkeit trieb und ich mich als Schriftsteller zu erkennen gab, nannten sie mich einen Lügner – niemand hatte je von einem David Martín gehört, wohingegen einige wussten, wer Ignatius B. Samson war, und Die Stadt der Verdammten vom Hörensagen kannten. Mit der Zeit gab ich vor, im Hafenzollhaus der Atarazanas oder als Gehilfe in der Anwaltskanzlei Sayrach, Muntaner y Cruells zu arbeiten.
Ich erinnere mich an einen Abend im Café de la Ópera in Gesellschaft einer Musiklehrerin namens Alicia, welcher ich vermutlich dabei half, jemanden zu vergessen, der sich nicht vergessen ließ. Ich wollte sie gerade küssen, als ich durch die Fensterscheibe Cristinas Gesicht erblickte. Bis ich auf der Straße war, hatte sie sich schon im Gedränge der Ramblas verloren. Zwei Wochen danach wollte mich Vidal unbedingt zur Premiere von Madame Butterfly ins Liceo einladen. Die Familie Vidal besaß eine Loge im ersten Rang, und Vidal ging die ganze Spielzeit über einmal pro Woche hin. Als ich mich im Foyer mit ihm traf, sah ich, dass er Cristina mitgenommen hatte. Sie grüßte mich mit einem eiskalten Lächeln und würdigte mich keines Wortes und keines Blicks mehr, bis Vidal mitten im zweiten Akt zum Club Liceo hinunterging, um einen Vetter zu begrüßen, und uns in der Loge allein ließ, nur wir zwei ohne ein weiteres Schutzschild als Puccini und die Hunderte ins Halbdunkel des Theaters getauchten Gesichter. Zehn Minuten hielt ich es aus, ehe ich mich ihr zuwandte und ihr in die Augen schaute.
»Habe ich etwas getan, was Sie gekränkt hat?« »Nein.«
»Können wir also versuchen, so zu tun, als ob wir Freunde wären, wenigstens bei einer solchen Gelegenheit?«
»Ich will nicht Ihre Freundin sein, David.« »Warum nicht?«
»Weil auch Sie nicht mein Freund sein wollen.« Sie hatte recht, ihr Freund wollte ich nicht sein. »Stimmt es, dass Sie denken, ich verkaufe mich selbst?«
»Was ich denke, tut nichts zur Sache. Was zählt, ist, was Sie denken.«
Ich blieb noch fünf Minuten sitzen, dann stand ich auf und ging ohne ein weiteres Wort. Als ich bei den breiten Stufen zum Foyer angelangte, hatte ich mir bereits vorgenommen, ihr nie wieder einen Gedanken, einen Blick oder ein freundliches Wort zu widmen.
Am nächsten Tag traf ich sie vor der Kathedrale, und als ich ihr ausweichen wollte, winkte sie mir lächelnd zu. Ich blieb wie angewurzelt stehen und sah sie auf mich zukommen.
»Wollen Sie mich nicht zu einem Nachmittagsimbiss einladen?«
»Ich muss anschaffen und habe erst in zwei Stunden Feierabend.«
»Dann gestatten Sie, dass ich Sie einlade. Welches ist Ihr Tarif, um einer Dame eine Stunde Gesellschaft zu leisten?«
Murrend folgte ich ihr in ein Café in der Calle Petritxol. Wir bestellten zwei Tassen heißen Kakao, setzten uns einander gegenüber und warteten ab, wer zuerst schwach werden und den Mund öffnen würde. Ausnahmsweise gewann ich.
»Ich wollte Sie gestern nicht beleidigen, David. Ich weiß nicht, was Ihnen Don Pedro erzählt haben mag, aber das habe ich nie gesagt.«
»Vielleicht denken Sie es bloß – deshalb hat es mir Don Pedro wohl gesagt.«
»Sie haben keine Ahnung, was ich denke«, antwortete sie hart. »Und Don Pedro auch nicht.«
Ich zuckte die Achseln.
»Schon gut.«
»Was ich gesagt habe,
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