Barcelona 03 - Der Gefangene des Himmels
mildert.«
Dr. Sanahuja stimmte zu.
»Einige Mitgefangene sollen der Meinung sein, dass Martín einen ziemlichen Dachschaden hat, wie man sich hier ausdrückt. Ist dem so?«, fragte der Direktor.
»Ich bin kein Psychiater, aber meiner bescheidenen Meinung nach ist Martín sichtlich geistesgestört.«
Der Direktor dachte über diese Einschätzung nach.
»Und nach Ihrer ärztlichen Meinung – wie lange, glauben Sie, wird er es schaffen? Zu überleben, meine ich.«
»Das weiß ich nicht. Die Zustände im Gefängnis sind ungesund, und …«
Der Direktor nickte und unterbrach ihn mit einer gelangweilten Handbewegung.
»Und bei Verstand? Wie lange kann Martín Ihrer Meinung nach seine geistigen Fähigkeiten behalten?«
»Nicht sehr lange, nehme ich an.«
»Verstehe.«
Der Direktor bot ihm eine Zigarette an, die der Arzt ablehnte.
»Sie schätzen ihn, nicht wahr?«
»Ich kenne ihn ja kaum«, erwiderte der Arzt. »Er scheint ein guter Mensch zu sein.«
Der Direktor lächelte.
»Und ein miserabler Schriftsteller. Der schlechteste, den dieses Land je gekannt hat.«
»Der Herr Direktor ist anerkannter Literaturexperte. Ich verstehe von diesem Thema nichts.«
Der Direktor schaute ihn frostig an.
»Ich habe schon Leute für geringere Unverschämtheiten drei Monate in Isolationshaft geschickt. Wenige überleben sie, und die Überlebenden kommen schlimmer als Ihr Freund Martín zurück. Glauben Sie nicht, Ihr Titel verschaffe Ihnen irgendein Privileg. In Ihrem Dossier steht, Sie hätten eine Frau und drei Töchter. Ihr Schicksal und das Ihrer Familie hängen davon ab, wie nützlich Sie für mich sind. Ist das deutlich genug?«
Dr. Sanahuja schluckte.
»Ja, Herr Direktor.«
»Danke, Doktor .«
In regelmäßigen Abständen verlangte der Direktor von Sanahuja, einen Blick auf Martín zu werfen. Die Lästerzungen sagten, er traue dem Gefängnisarzt nicht über den Weg, einem Quacksalber, der nach dem Unterschreiben so vieler Totenscheine vergessen zu haben schien, was Vorbeugemaßnahmen waren, und den er kurze Zeit später entließ.
»Wie geht’s denn unserem Patienten, Doktor?«
»Schwach.«
»Hm. Und seine Dämonen? Führt er immer noch Selbstgespräche und hat Halluzinationen?«
»Zustand unverändert.«
»Im ABC habe ich einen großartigen Artikel meines guten Freundes Sebastián Jurado gelesen, in dem er von der Schizophrenie spricht, der Dichterkrankheit.«
»Ich fühle mich nicht befähigt, diese Diagnose abzugeben.«
»Ihn am Leben zu erhalten aber schon, nicht wahr?«
»Ich versuche es.«
»Tun Sie etwas mehr, als es nur zu versuchen. Denken Sie an Ihre Töchter. So jung. So schutzlos, wo es doch von Schurken und untergetauchten Roten nur so wimmelt.«
Mit den Monaten nahm Dr. Sanahujas Zuneigung für Martín zu, und eines Tages, als sie gemeinsam einen Zigarettenstummel rauchten, erzählte er Fermín, was er von der Geschichte dieses Mannes wusste, dem einige, sich über seine Wahnvorstellungen und seinen Rang als offizieller Gefängnisspinner mokierend, den Spitznamen »der Gefangene des Himmels« verpasst hatten.
6
»Ehrlich gesagt, glaube ich, dass David Martín schon einige Zeit krank war, als man ihn hierherbrachte. Haben Sie schon einmal von der Schizophrenie gehört, Fermín? Das ist eines der neuen Lieblingswörter des Herrn Direktor.«
»Das ist das, was die Zivilisten gern als ›nicht alle Tassen im Schrank haben‹ bezeichnen.«
»Damit ist nicht zu scherzen, Fermín. Es ist eine sehr schwere Krankheit. Es ist zwar nicht mein Spezialgebiet, aber ich habe einige Fälle kennengelernt. Oft hören die Patienten Stimmen, sehen Menschen und erinnern sich an Ereignisse, die nie geschehen sind. Der Geist nimmt immer mehr ab, und die Patienten können nicht mehr zwischen Wirklichkeit und Fiktion unterscheiden.«
»Wie siebzig Prozent der Spanier … Und Sie glauben, der arme Martín leidet an dieser Krankheit, Doktor?«
»Ich weiß es nicht mit Sicherheit. Ich sage ja, es ist nicht mein Spezialgebiet, aber ich glaube, er zeigt einige der üblichsten Symptome.«
»Vielleicht ist diese Krankheit in seinem Fall ein Segen.«
»Ein Segen ist sie nie, Fermín.«
»Und weiß er, dass er, sagen wir, dass er davon betroffen ist?«
»Der Verrückte sieht immer in den anderen die Verrückten.«
»Was ich von den siebzig Prozent aller Spanier sagte.«
Oben in seinem Kontrollhäuschen beobachtete sie ein Posten, als wollte er ihnen von den Lippen ablesen.
»Sprechen Sie leiser.
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