Barcelona 03 - Der Gefangene des Himmels
ihm klar, dass er diese Nacht kein Auge zutun würde. Nach einer Weile hielt er das Gesicht an die Gitterstäbe und ließ die Arme auf die Querstange fallen. Auf der anderen Seite des Gangs beobachteten ihn aus den Schatten heraus zwei Augen in der Glut einer Zigarette.
»Sie haben mir nicht gesagt, warum Valls Sie neulich zu sich bestellt hat«, sagte Martín.
»Sie können es sich ja etwa vorstellen.«
»Irgendeine außergewöhnliche Bitte?«
»Ich soll Sie aushorchen über irgendeinen Bücherfriedhof oder so was Ähnliches.«
»Interessant.«
»Faszinierend.«
»Hat er Ihnen erklärt, warum ihn dieses Thema interessiert?«
»Ehrlich gesagt, Señor Martín, unsere Beziehung ist nicht so eng. Der Herr Direktor beschränkt sich darauf, mir verschiedenartigste Verstümmelungen anzudrohen, wenn ich seinem Gebot nicht in vier Wochen nachkomme, und ich beschränke mich darauf, ja zu sagen.«
»Machen Sie sich keine Sorgen, Fermín. In vier Wochen sind Sie hier raus.«
»Ja, an einem Karibikstrand mit zwei gutgepolsterten Mulattinnen, die mir eine Fußmassage verabreichen.«
»Haben Sie Vertrauen.«
Fermín gab einen mutlosen Seufzer von sich. Die Karten seiner Zukunft wurden zwischen Verrückten, Schlächtern und Todgeweihten ausgeteilt.
12
An jenem Sonntag warf der Direktor nach seiner Ansprache einen fragenden Blick auf Fermín, gekrönt von einem Lächeln, das ihn die Galle bis zur Zunge hinauf schmecken ließ. Sowie die Posten den Gefangenen erlaubten wegzutreten, schlich sich Fermín an Martín an.
»Eine brillante Rede«, kommentierte dieser.
»Historisch. Jedes Mal, wenn dieser Mann spricht, nimmt das westliche Denken eine kopernikanische Wendung.«
»Sarkasmus passt nicht zu Ihnen, Fermín. Er steht im Widerspruch zu Ihrer natürlichen Sanftheit.«
»Fahren Sie zur Hölle.«
»Ich bin dabei. Zigarette?«
»Ich bin Nichtraucher.«
»Offenbar lässt sich’s so schneller sterben.«
»Also her damit, an mir soll’s nicht liegen.«
Fermín kam nicht über den ersten Zug hinaus. Als er sich die Lunge bis auf die Erinnerung an seine Erstkommunion aus dem Leib hustete, nahm ihm Martín die Zigarette ab und klopfte ihm auf den Rücken.
»Ich verstehe nicht, wie Sie so was schlucken können. Das schmeckt nach angesengtem Hund.«
»Es ist das Beste, was man hier kriegen kann. Sie sollen aus Stummelresten gefertigt sein, die auf den Gängen des Monumental-Gefängnisses zusammengekehrt werden.«
»Mich jedenfalls erinnert das Bukett eher an ein Pissoir.«
»Atmen Sie tief durch, Fermín. Besser so?«
Fermín nickte.
»Wollen Sie mir nun etwas über diesen Friedhof erzählen, damit ich dem Oberschwein einen Köder hinwerfen kann? Es muss ja gar nicht stimmen. Mir ist mit jedem Unsinn gedient, der Ihnen einfällt.«
Lächelnd stieß Martín den stinkenden Rauch zwischen den Zähnen aus.
»Wie geht’s denn Ihrem Zellengenossen Salgado, dem Rächer der Enterbten?«
»Tja, da hat man gedacht, man habe ein gewisses Alter und in diesem Weltenzirkus alles gesehen. Und wo es heute früh schon den Anschein machte, als hätte er den Löffel abgegeben, hör ich, wie er aufsteht und sich zu meiner Schlafstätte schleicht wie ein Vampir.«
»Etwas Vampirhaftes hat er tatsächlich.«
»Jedenfalls tritt er an meinen Schlafplatz und starrt mich an. Ich stelle mich schlafend, Salgado beißt an, und ich sehe, wie er lautlos in eine Ecke der Zelle geht und mit der verbleibenden Hand dort zu stochern beginnt, wo die Medizin das Rektum beziehungsweise den Mastdarm ansiedelt«, fuhr Fermín fort.
»Wie bitte?«
»Sie hören schon recht. Von seiner jüngsten Sitzung mittelalterlicher Verstümmelung genesend, feiert der gute Salgado die erstbeste Gelegenheit, wo er imstande ist, aufzustehen und diesen geduldigen Winkel der menschlichen Anatomie auszukundschaften, den die Natur dem Sonnenlicht entzogen hat. Ungläubig wage ich nicht einmal zu atmen. Es vergeht eine Minute, und es sieht aus, als wollte Salgado mit seinen zwei oder drei verbliebenen Fingern dort den Stein der Weisen oder irgendeine tiefsitzende Hämorrhoide suchen. All das begleitet von einem dumpfen Ächzen, das ich lieber nicht wiedergebe.«
»Ich bin vollkommen baff.«
»Nun, dann setzen Sie sich hin fürs große Finale. Nach einer oder zwei Minuten rektaler Schürfarbeit lässt er einen Seufzer à la heiliger Johannes vom Kreuz fahren, und das Wunder geschieht. Wie er die Finger rauszieht, leuchtet etwas zwischen ihnen, was selbst von meiner
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