Barcelona 03 - Der Gefangene des Himmels
mit. Valls war wütend. Er sagte, er sei sehr enttäuscht von ihm, er habe ihm den Keim eines Meisterwerks gegeben, aber Martín habe undankbarerweise nicht seine Anweisungen befolgt, sondern diesen Mist ohne Hand und Fuß zu schreiben begonnen. ›Das ist nicht das Buch, das ich von Ihnen erwartet habe, Martín‹, wiederholte er immer wieder.«
»Und was sagte Martín?«
»Nichts. Er ignorierte ihn. Als wäre er Luft. Was Valls immer noch wütender machte. Bebo hörte, wie er Martín ohrfeigte und schlug, aber der gab keinen einzigen Klagelaut von sich. Als Valls es satthatte, ihn zu schlagen und zu beschimpfen, ohne ein Wort aus ihm herauszukriegen, sagt Bebo, zog er einen Brief aus der Tasche, einen Brief, den Señor Sempere Martín Monate zuvor geschickt und den Valls abgefangen hatte. In diesem Brief befand sich eine Notiz, die Isabella auf dem Sterbebett für Martín geschrieben hatte …«
»Dieser Hundesohn …«
»Valls ließ ihn eingeschlossen mit diesem Brief zurück – er wusste ganz genau, dass ihn nichts mehr schmerzen konnte, als zu erfahren, dass Isabella gestorben war. Bebo sagt, nachdem Valls gegangen war und Martín den Brief gelesen hatte, habe er zu schreien begonnen und die ganze Nacht weitergeschrien und mit Händen und Kopf auf die Wände und die Eisentür eingedroschen …«
Brians schaute auf, und Fermín kniete vor ihm nieder und legte ihm die Hand auf die Schulter.
»Geht es Ihnen gut, Brians?«
»Ich bin sein Anwalt«, sagte er mit zitternder Stimme. »Es ist doch meine Pflicht, ihn zu beschützen und dort rauszuholen …«
»Sie haben alles getan, was in Ihrer Macht steht, Brians. Und das weiß Martín.«
Brians schüttelte langsam den Kopf.
»Das ist noch nicht alles«, sagte er. »Bebo hat mir erzählt, da Valls verboten habe, Martín weiterhin Papier und Tinte zu geben, habe dieser angefangen, die Rückseite der Seiten vollzuschreiben, die ihm Valls ins Gesicht geschleudert hatte. Mangels Tinte schneide er sich in Hände und Arme und benutze sein Blut … Bebo versuchte, mit ihm zu sprechen, ihn zu beruhigen. Er nahm jetzt keine Zigaretten und Zuckerwürfel mehr an, obwohl ihm die so gut schmeckten. Er beachtete ihn nicht einmal mehr. Bebo glaubt, mit der Nachricht von Isabellas Tod habe er vollends den Verstand verloren und nur noch in der Hölle gelebt, die er sich in seinem Kopf gezimmert hatte. Nachts schrie er, und alle konnten ihn hören. Unter den Besuchern, den Gefangenen und dem Gefängnispersonal begann man zu munkeln. Valls wurde allmählich nervös. Schließlich befahl er eines Nachts zweien seiner Revolverhelden, ihn wegzuschaffen …«
Fermín schluckte.
»Wohin?«
»Bebo ist nicht sicher. Auf Grund dessen, was er hören konnte, glaubt er, in einen alten verlassenen Kasten neben dem Park Güell, ein Ort, wo anscheinend schon während des Krieges mehr als nur einer oder zwei umgebracht und dann im Garten verscharrt worden waren … Als die beiden Killer zurückkamen, sagten sie Valls, es sei alles in Ordnung, aber Bebo hat mir erzählt, in der Nacht habe er sie miteinander sprechen hören und sie seien sehr verschreckt gewesen. Etwas muss in dem Haus geschehen sein. Anscheinend war da noch jemand.«
»Jemand?«
Brians zuckte die Schultern.
»Dann lebt David Martín also noch?«
»Ich weiß es nicht, Fermín. Niemand weiß es.«
12
Barcelona, 1957
Fermín sprach mit hauchdünner Stimme, den Blick niedergeschlagen. Die Heraufbeschwörung dieser Erinnerungen schien ihm alle Kraft entzogen zu haben, so dass er sich nur mit Müh und Not auf dem Stuhl halten konnte. Ich schenkte ihm ein letztes Glas Wein ein, während er sich mit dem Handrücken die Tränen abwischte. Ich reichte ihm eine Serviette, doch er übersah sie. Die restlichen Gäste des Can Lluís waren schon vor einer Weile gegangen, und vermutlich war es nach Mitternacht, aber niemand hatte uns etwas gesagt, man hatte uns in aller Ruhe sitzen lassen. Fermín schaute mich erschöpft an, als hätte ihm die Enthüllung dieser Geheimnisse, die er so viele Jahre in sich verschlossen hatte, sogar die Lust zu leben ausgerissen.
»Fermín …«
»Ich weiß, was Sie mich fragen werden. Die Antwort lautet nein.«
»Fermín, ist David Martín mein Vater?«
Er schaute mich streng an.
»Ihr Vater ist Señor Sempere, Daniel. Daran dürfen Sie niemals zweifeln. Niemals.«
Ich nickte. Fermín blieb auf seinem Stuhl verankert, abwesend, den Blick im Nirgendwo verloren.
»Und Sie – was ist aus
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