Barcelona 03 - Der Gefangene des Himmels
Valls einfach einer von vielen unter diesen öffentlichen Figuren gewesen, die zu einer zwar dauernd präsenten, aber verschwommenen Landschaft gehören, auf die man nicht besonders achtet. Hätte mich jemand nach Mauricio Valls gefragt, so hätte ich bis zu diesem Abend geantwortet, er komme mir vage bekannt vor, eine wichtige Figur in diesen elenden Jahren, die ich nie weiter beachtet hatte. Bis zu diesem Abend wäre es mir nie in den Sinn gekommen, eines Tages würde dieser Name, dieses Gesicht für immer zu dem des Mannes werden, der meine Mutter umgebracht hatte.
»Aber …«, protestierte ich.
»Nichts. Sie haben gesagt, eine einzige Frage, und die habe ich Ihnen beantwortet.«
»Fermín, Sie können mich nicht so …«
»Hören Sie mir gut zu, Daniel.« Er schaute mir in die Augen und fasste mich am Handgelenk. »Ich schwöre Ihnen, wenn der Moment gekommen ist, werde ich Ihnen persönlich helfen, diesen Dreckskerl zu finden, und wenn es das Letzte ist, was ich in meinem Leben mache. Dann werden wir abrechnen mit ihm. Aber nicht jetzt. Nicht so.«
Ich schaute ihn zweifelnd an.
»Versprechen Sie mir, keine Dummheit zu begehen, Daniel. Zu warten, bis der Moment gekommen ist.«
Ich senkte den Blick.
»Das können Sie nicht von mir verlangen, Fermín.«
»Ich kann und muss.«
Schließlich nickte ich, und Fermín ließ meinen Arm los.
13
Als ich nach Hause kam, war es fast zwei Uhr. Ich wollte eben die Haustür öffnen, da sah ich, dass in der Buchhandlung das Licht an war, ein schwacher Glanz hinter dem Vorhang zum Hinterzimmer. Ich betrat den Laden vom Hausflur aus und fand meinen Vater am Schreibtisch, wo er die erste Zigarette paffte, die ich ihn in meinem ganzen Leben hatte rauchen sehen. Vor ihm auf dem Tisch lagen ein offener Umschlag und beschriebene Briefbogen. Ich rückte einen Stuhl heran und setzte mich ihm gegenüber. Schweigend und undurchdringlich schaute er mich an.
»Gute Nachrichten?«, fragte ich und deutete auf den Brief.
Mein Vater reichte ihn mir.
»Er ist von deiner Tante Laura aus Neapel.«
»Ich habe eine Tante in Neapel?«
»Die Schwester deiner Mutter, die mit der Familie mütterlicherseits nach Italien gezogen ist, in dem Jahr, in dem du auf die Welt gekommen bist.«
Ich nickte abwesend. Ich konnte mich nicht an sie erinnern, und ihren Namen hatte ich unter all den Unbekannten, die vor Jahren zur Beerdigung meiner Mutter gekommen waren und die ich danach nie wiedergesehen hatte, nur am Rand zur Kenntnis genommen.
»Sie sagt, sie hat eine Tochter, die in Barcelona studieren will, und fragt, ob sie eine Zeitlang hier wohnen kann, eine gewisse Sofía.«
»Das ist das erste Mal, dass ich von ihr höre«, sagte ich.
»Dann sind wir schon zwei.«
Ich konnte mir nur schwer vorstellen, dass mein Vater die Wohnung mit einer ihm unbekannten Halbwüchsigen teilte.
»Und was wirst du ihr antworten?«
Gleichgültig zuckte er die Schultern.
»Ich weiß auch nicht. Irgendetwas werde ich ihr sagen müssen.«
Fast eine Minute saßen wir schweigend da und sahen uns an, ohne uns an das Thema zu wagen, das uns sehr viel mehr beschäftigte als der Besuch einer entfernten Cousine.
»Ich nehme an, du warst mit Fermín aus«, sagte er schließlich.
Ich nickte.
»Wir sind ins Can Lluís gegangen. Fermín hat sogar die Servietten verschlungen. Beim Eintreten habe ich Professor Alburquerque angetroffen, er hat ebenfalls da gegessen, und ich habe ihm gesagt, er soll doch wieder mal im Laden vorbeischauen.«
Der Klang meiner Stimme, die Banalitäten von sich gab, hatte ein anklagendes Echo. Mein Vater schaute mich angespannt an.
»Hat er dir gesagt, was mit ihm los ist?«
»Ich glaube, es ist die Nervosität, wegen der Hochzeit und dem ganzen Drum und Dran, das ist nichts für ihn.«
»Und das war’s auch schon?«
Ein geübter Lügner weiß, dass die wirkungsvollste Lüge immer eine Wahrheit ist, der man ein entscheidendes Stück genommen hat.
»Na ja, er hat mir Dinge aus alten Zeiten erzählt, als er im Gefängnis war und so.«
»Dann hat er dir vermutlich auch von Anwalt Brians erzählt. Was hat er denn gesagt?«
Ich war mir nicht sicher, was mein Vater wusste oder ahnte, und beschloss, Vorsicht walten zu lassen.
»Er hat mir erzählt, dass er im Kastell auf dem Montjuïc einsaß und mit Hilfe eines gewissen David Martín fliehen konnte, jemand, den du anscheinend gekannt hast.«
Mein Vater hüllte sich in langes Schweigen.
»Niemand hat es mir jemals ins Gesicht zu
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