Barcelona 03 - Der Gefangene des Himmels
sagen gewagt, aber ich weiß, dass es Leute gibt, die damals dachten – und noch immer denken –, deine Mutter sei in Martín verliebt gewesen«, sagte er mit einem Lächeln so traurig, dass ich wusste, er zählte sich selbst auch dazu. Mein Vater hatte diese Gewohnheit einiger Menschen, übertrieben zu lächeln, um die Tränen zurückzuhalten. »Deine Mutter war eine gute Frau. Eine gute Ehefrau. Ich möchte nicht, dass du seltsame Dinge von ihr denkst auf Grund dessen, was dir Fermín vielleicht erzählt hat. Er hat sie nicht gekannt. Ich schon.«
»Fermín hat gar nichts angedeutet«, schwindelte ich. »Nur, dass Mama und Martín einander freundschaftlich verbunden waren und dass sie versucht hat, ihn aus dem Gefängnis zu holen, und sich dazu diesen Anwalt genommen hat, Brians.«
»Wahrscheinlich hat er dir auch von einem gewissen Valls erzählt …«
Ich zögerte, ehe ich nickte. Mein Vater erkannte die Verwirrung in meinen Augen und schüttelte den Kopf.
»Deine Mutter ist an der Cholera gestorben, Daniel. Ich werde nie verstehen, warum, aber Brians hat diesen Mann, einen größenwahnsinnigen Bürokraten, eines Verbrechens beschuldigt, für das es weder Indizien noch Beweise gegeben hat.«
Ich sagte nichts.
»Das musst du dir aus dem Kopf schlagen. Du musst mir versprechen, dass du nicht daran denken wirst.«
Ich schwieg weiter und fragte mich, ob mein Vater tatsächlich so naiv war, wie es den Anschein machte, oder ob ihn der Schmerz über den Verlust geblendet und in die Feigheit der Überlebenden getrieben hatte. Ich erinnerte mich an Fermíns Worte und dachte, dass weder ich noch sonst jemand das Recht hatte, ihn zu richten.
»Versprich mir, dass du keine Dummheit begehen und diesen Mann suchen wirst«, beharrte er.
Ich nickte ohne Überzeugung. Er fasste mich am Arm.
»Schwöre es mir. Beim Angedenken an deine Mutter.«
Ich spürte, wie ein Schmerz mein Gesicht peinigte, und merkte, dass ich die Zähne so fest zusammenpresste, dass sie beinahe brachen. Ich wandte den Blick ab, doch mein Vater ließ mich nicht los. Ich schaute ihm in die Augen, und bis zum letzten Moment glaubte ich ihn belügen zu können.
»Ich schwöre dir beim Angedenken an Mama, dass ich nichts unternehmen werde, solange du lebst.«
»Das ist nicht das, worum ich dich gebeten habe.«
»Das ist alles, was ich dir geben kann.«
Mein Vater vergrub den Kopf in den Händen und atmete tief.
»Die Nacht, in der deine Mutter gestorben ist, oben in der Wohnung …«
»Ich erinnere mich ganz genau.«
»Du warst fünf.«
»Viereinhalb.«
»In dieser Nacht hat Isabella mich gebeten, dir nie zu erzählen, was geschehen ist. Sie dachte, es wäre besser so.«
Das war das erste Mal, dass ich ihn meine Mutter bei ihrem Vornamen nennen hörte.
»Ich weiß, Papa.«
Er schaute mir in die Augen.
»Verzeih mir«, murmelte er.
Ich hielt seinem Blick stand; manchmal schien mein Vater zu altern, wenn er mich nur ansah und Erinnerungen wachrief. Ich stand auf und umarmte ihn schweigend. Er zog mich kräftig an sich, und als er in Tränen ausbrach, begannen die Wut und der Schmerz, die er all die Jahre in seiner Seele vergraben hatte, zu sprudeln wie Blut aus einer offenen Wunde. Ohne es erklären zu können, wurde mir klar, dass mein Vater langsam und unerbittlich zu sterben begonnen hatte.
Vierter Teil
Verdacht
1
Barcelona, 1957
Die Morgendämmerung überraschte mich auf der Schwelle zum Schlafzimmer des kleinen Julián, der ausnahmsweise völlig unbeeindruckt von allem und allen und mit einem Lächeln auf den Lippen schlief. Ich hörte Beas Schritte über den Flur kommen und spürte dann ihre Hand auf der Schulter.
»Wie lange stehst du schon hier?«, fragte sie.
»Eine Weile.«
»Was machst du?«
»Ich schau ihn an.«
Bea trat zu Julián an die Wiege und beugte sich hinab, um ihn auf die Stirn zu küssen.
»Wann bist du denn gestern Nacht gekommen?«
Ich gab keine Antwort.
»Wie geht’s Fermín?«
»So lala.«
»Und dir?« Ich lächelte lustlos. »Wirst du’s mir erzählen?«, hakte sie nach.
»Ein andermal.«
»Ich dachte, wir haben keine Geheimnisse voreinander.«
»Das dachte ich auch.«
Sie sah mich befremdet an.
»Was meinst du damit, Daniel?«
»Nichts. Ich meine gar nichts. Ich bin sehr müde. Gehen wir ins Bett?«
Bea nahm meine Hand und zog mich ins Schlafzimmer. Wir legten uns hin, und ich umarmte sie.
»Heute Nacht habe ich von deiner Mutter geträumt«, sagte sie. »Von
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