Barcelona 03 - Der Gefangene des Himmels
Ihnen geworden, Fermín?«
Er zögerte mit der Antwort, als wäre dieser Teil der Geschichte absolut bedeutungslos.
»Ich bin auf die Straße zurückgegangen. Bei Brians konnte ich nicht bleiben. Und zur Rociíto konnte ich nicht ziehen. Zu niemandem …«
Sein Bericht strandete, und ich nahm ihn an seiner statt wieder auf.
»Sie sind auf die Straße zurückgegangen, ein namenloser Bettler, ohne nichts und niemand auf der Welt, ein Mann, den alle für verrückt hielten und der am liebsten gestorben wäre, hätte er nicht ein Versprechen abgegeben …«
»Ich hatte Martín versprochen, mich um Isabella und ihren Sohn zu kümmern – um Sie. Aber ich war ein Feigling, Daniel. Ich hatte mich so lange versteckt gehalten, ich hatte solche Angst vor dem Zurückkommen, dass Ihre Mutter schon nicht mehr da war, als ich es endlich tat …«
»Darum habe ich Sie in jener Nacht auf der Plaza Real angetroffen? Das war also kein Zufall? Wie lange waren Sie mir denn schon gefolgt?«
»Monate. Jahre …«
Ich stellte mir vor, wie er mir als Kind gefolgt war, wenn ich zur Schule ging, wenn ich im Ciudadela-Park spielte, wenn ich mit meinem Vater vor diesem Schaufenster stehen blieb, um den Füllfederhalter zu betrachten, von dem ich felsenfest überzeugt war, dass er Victor Hugo gehört hatte, wenn ich mich auf die Plaza Real setzte, um Clara vorzulesen und sie, wenn ich mich unbeobachtet fühlte, mit den Augen zu liebkosen. Ein Bettler, ein Schatten, eine Gestalt, auf die niemand achtete und die von den Blicken gemieden wurde. Fermín, mein Beschützer und mein Freund.
»Und warum haben Sie mir Jahre später die Wahrheit nicht erzählt?«
»Anfänglich wollte ich das, aber dann wurde mir klar, dass ich Ihnen damit eher schaden als nützen würde. Dass nichts die Vergangenheit ändern konnte. Ich beschloss, Ihnen die Wahrheit zu verheimlichen, weil ich dachte, es sei besser, wenn Sie mehr Ihrem Vater und weniger mir glichen.«
Wir hüllten uns in ein langes Schweigen, in dem wir verstohlene Blicke wechselten, ohne zu wissen, was wir sagen sollten.
»Wo ist Valls?«, fragte ich schließlich.
»Kommen Sie mir ja nicht auf den Gedanken …«
»Wo ist er jetzt?«, wiederholte ich meine Frage. »Wenn Sie es mir nicht sagen, finde ich es schon heraus.«
»Und was werden Sie tun? Bei ihm aufkreuzen und ihn umbringen?«
»Warum nicht?«
Fermín lachte bitter.
»Weil Sie eine Frau und ein Kind haben, weil Sie ein Leben haben und Leute, die Sie gernhaben und die Sie gernhaben, und weil Sie alles haben, Daniel.«
»Alles außer meiner Mutter.«
»Die Rache wird Ihnen die Mutter nicht zurückgeben.«
»Das lässt sich leicht sagen. Ihre hat niemand umgebracht …«
Fermín wollte etwas sagen, biss sich aber auf die Zunge.
»Warum, glauben Sie, hat Ihr Vater Ihnen nie vom Krieg erzählt, Daniel? Glauben Sie etwa, er könne sich nicht vorstellen, was geschehen ist?«
»Wenn es so ist, warum hat er dann geschwiegen? Warum hat er nichts unternommen?«
»Ihretwegen, Daniel. Ihretwegen. Ihr Vater hat wie viele Leute, die diese Jahre haben durchleben müssen, alles geschluckt und geschwiegen. Weil sie keinen Mut hatten. Leute von allen Parteien und Farben. Sie begegnen ihnen täglich auf der Straße und nehmen sie nicht einmal wahr. Diese ganzen Jahre über sind sie mit diesem Schmerz in sich lebend verfault, damit Sie und andere wie Sie leben können. Kommen Sie mir nicht auf die Idee, Ihren Vater zu richten. Dazu haben Sie kein Recht.«
Es kam mir vor, als hätte mir mein bester Freund einen Schlag auf den Mund versetzt.
»Seien Sie nicht böse auf mich, Fermín …«
Er schüttelte den Kopf.
»Ich bin nicht böse.«
»Ich versuche nur, das alles besser zu verstehen. Erlauben Sie mir eine Frage. Nur eine.«
»Zu Valls? Nein.«
»Nur eine Frage, Fermín. Ich schwöre es. Wenn Sie nicht wollen, brauchen Sie nicht zu antworten.«
Brummelnd nickte er.
»Ist dieser Mauricio Valls derselbe Valls, an den ich denke?«
Er nickte.
»Ein und derselbe. Der, der bis vor vier oder fünf Jahren Kulturminister war. Der fast jeden Tag in der Presse erschienen ist. Der große Mauricio Valls. Autor, Verleger, Denker und Messias der nationalen Intelligenzija. Dieser Valls.«
Da ging mir auf, dass ich Dutzende Male in der Presse das Bild dieses Mannes gesehen hatte, dass ich seinen Namen gehört und auf dem Rücken einiger Bücher in unserer Buchhandlung aufgedruckt gesehen hatte. Bis zu diesem Abend war der Name Mauricio
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