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Barcelona 03 - Der Gefangene des Himmels

Barcelona 03 - Der Gefangene des Himmels

Titel: Barcelona 03 - Der Gefangene des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Ruiz Zafón
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die eben aufs WC geklettert ist.
    »Ist ja schon bemerkenswert, dass der, von dem alle gedacht haben, er kratzt als Erster ab, der Letzte ist … Wissen Sie, was mich die ganzen Jahre am Leben erhalten hat, Fermín?«
    »Wenn ich Sie nicht so gut kennte, würde ich sagen, die mediterrane Kost und die Meeresluft.«
    Salgado hauchte eine Andeutung von Lächeln, das aus seinem Hals nach heiserem Husten und fast kollabierender Bronchie klang.
    »Ganz der Alte, Fermín. Aus diesem Grund waren Sie mir immer so sympathisch. Was waren das noch für Zeiten. Aber ich will Sie nicht mit meinen alten Geschichten langweilen, schon gar nicht den jungen Mann da – diese Generation interessiert sich nicht mehr für unser Schicksal. Sie interessiert sich für Charleston oder wie das heute heißt. Wollen wir übers Geschäftliche reden?«
    »Sie haben das Wort.«
    »Eher Sie, Fermín. Ich habe schon alles gesagt, was ich zu sagen hatte. Wollen Sie mir geben, was mein ist? Oder müssen wir einen Skandal veranstalten, an dem Ihnen nicht gelegen sein dürfte?«
    Einige Momente reagierte Fermín nicht, und wir verharrten in unbehaglichem Schweigen. Salgado schaute ihn unentwegt an und schien gleich Gift spucken zu wollen. Fermín warf mir einen Blick zu, den ich nicht zu deuten wusste, und seufzte niedergeschlagen.
    »Sie haben gewonnen, Salgado.«
    Er zog einen kleinen Gegenstand aus der Tasche seines Arbeitskittels und gab ihn ihm. Einen Schlüssel. Den Schlüssel. Salgados Augen glühten auf wie bei einem Kind. Er erhob sich und trat langsam zu Fermín. Dann nahm er, zitternd vor Erregung, mit seiner einzigen Hand den Schlüssel entgegen.
    »Falls Sie ihn sich wieder rektal einverleiben wollen, dann gehen Sie bitte zur Toilette – das hier ist ein allgemein zugänglicher Ort«, sagte Fermín.
    Salgado, der wieder zur Farbe und zum Hauch früher Jugend zurückgefunden hatte, zerlief in einem Lächeln unendlicher Befriedigung.
    »Wenn ich es recht bedenke, so haben Sie mir den Gefallen meines Lebens erwiesen, indem Sie ihn die ganzen Jahre hindurch behalten haben«, erklärte er.
    »Dazu hat man Freunde. Gehen Sie mit Gott, und zögern Sie nicht, nie wieder hier vorbeizukommen.«
    Salgado grinste und blinzelte uns zu. Dann ging er zum Ausgang, versunken in seine Hirngespinste. Bevor er auf die Straße hinaustrat, wandte er sich einen Augenblick um und hob die Hand zum versöhnlichen Gruß.
    »Ich wünsche Ihnen Glück und ein langes Leben, Fermín. Und haben Sie keine Bange, Ihr Geheimnis bleibt unter Verschluss.«
    Wir sahen ihn im Regen davonhinken – ein alter Mann, den alle für einen Todkranken gehalten hätten, der aber, dessen war ich mir sicher, weder die kalten Regentropfen auf dem Gesicht noch die Jahre des Eingesperrtseins und der Not spürte, die ihm im Blut saßen. Ich sah Fermín an, der wie festgenagelt dastand, blass und verwirrt durch die Begegnung mit seinem ehemaligen Zellengenossen.
    »Wollen wir ihn einfach so gehen lassen?«, fragte ich.
    »Haben Sie eine bessere Idee?«

3
    Nach der sprichwörtlichen Vorsichtsminute traten wir auf die Straße hinaus, beide in einem dunklen Regenmantel und unter einem Regenschirm von den Ausmaßen eines Gartenschirms, den Fermín in einem Basar beim Hafen gekauft hatte, um ihn sowohl winters wie sommers für seine Eskapaden mit der Bernarda an den Strand der Barceloneta zu benutzen.
    »Fermín, mit diesem Möbel krähen wir wie ein Gockelchor«, sagte ich.
    »Seien Sie unbesorgt, das Einzige, was dieser unverschämte Kerl sieht, sind die Golddublonen, die es vom Himmel auf ihn herabregnet.«
    Salgado war uns etwa hundert Meter voraus und legte die Calle Condal hinkend, aber leichtfüßig zurück. Wir holten ein wenig auf, um gerade rechtzeitig zu sehen, wie er sich anschickte, in eine Straßenbahn zu steigen, die die Vía Layetana hinauffuhr. Den Schirm zuklappend, rannten wir los und schafften es wie durch ein Wunder eben noch aufs hintere Trittbrett. Ganz in der Tradition der Zeit, legten wir die Fahrt mehr oder weniger dort hängend zurück. Salgado hatte im vorderen Teil einen Sitzplatz gefunden, den ihm ein ahnungsloser barmherziger Samariter überlassen hatte.
    »So ist es eben, wenn man alt wird«, sagte Fermín. »Keiner denkt daran, dass man mal ein junger Spund war.«
    Durch die Calle Trafalgar erreichte die Straßenbahn den Triumphbogen. Wir reckten ein wenig den Hals und sahen, dass Salgado noch fest in seinem Sitz saß. Der Schaffner beobachtete uns über seinem

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