Bardenlieder von Silbersee - Die Drachenreiter 1: Schicksalsschlaege (German Edition)
Reihen gehabt, auch wenn ihre Ausrüstung mehr für die Jagd als für den Zweikampf geeignet war. Doch im Truge einer friedlich scheinenden Nacht überrascht, hatten sie keine Chance.
Nun stand ein kleines Elfenmädchen von knapp acht Jahren am Rande des Schauplatzes eines kaltblütigen Gemetzels. Vertraute Gesichter starrten Linara mit leeren Blicken an. Glasige Augen flehten vergebens um Gnade.
Linara öffnete den Mund, doch kein Schrei wollte sich aus ihrer Kehle lösen. Am ganzen Körper zitternd, war sie unfähig, ihre Augen abzuwenden. Das Schreckensbild nahm sie vollständig ein, brannte sich in ihren Geist. Sie waren alle tot. Die Sippe der Waldelfen war ausgelöscht. Doch was das bedeutete, begriff Linara nicht. Ihr Verstand war so leer wie die Augen derer, die sie geliebt hatte. So stand sie da, Minuten oder Stunden – Zeit hatte jegliche Bedeutung verloren.
Schließlich formierte sich ein Gedanke im Kopf der kleinen Elfe. Er wurde zu einem Befehl, der ihre Beine zwang, zu gehorchen. Sie musste laufen! Weg! Weit weg! Bis diese Augen sie nicht mehr sehen konnten! Bis sie dieser Realität entkommen war! Bis ihre Mutter sie an einem sonnigen Morgen wecken würde!
Über die Wiese, den Hang hinab, dem Lauf des Baches folgend und immer weiter rannte Linara durch den Wald. Äste und Dornenranken peitschten ihr Gesicht und hinterließen blutige Striemen auf ihrer blassen Haut. Doch sie nahm es nicht wahr. Heiße Tränen rannen ihr über die Wangen. Die Landschaft verschwamm hinter einem Schleier. Unaufhörlich flammten Bilder des Grauens vor ihrem inneren Auge auf – Feuer, Klingen, Blut ... und immer wieder die Blicke der Toten.
Irgendwann wich die letzte Kraft der Verzweiflung aus der Elfe. Die Gurte ihrer Tasche schlangen sich um ihre Beine. Sie stürzte zwischen Gestrüpp auf den Waldboden und blieb regungslos liegen.
Vollkommene Schwärze umfing sie.
Die Bilder verschwanden.
Kapitel 2 - Vater und Sohn
»Sei gegrüßt, Meister Makantheo!«
Atharis schloss leise die Tür hinter sich und ging zu dem Schreibtisch aus massivem Eichenholz, hinter dem Makantheo, der Leiter der Kampfschule, über einige Schriftstücke gebeugt saß. Sein Blick huschte unstet umher, von dem Regal mit den ledergebundenen Büchern zur Kommode, über der eine kleine Sammlung exotischer Waffen hing, bis hin zu dem Doppelflügelfenster. Dieser Raum war voller Erinnerungen an seine Kindheit, an eine Zeit, da er selbst als Schüler hier ein und aus zu gehen gepflegt hatte. All das schien so lange her zu sein. Vieles hatte sich verändert. Er selbst hatte sich verändert. Nun fühlte er sich fremd innerhalb dieser Gemäuer, so gar nicht wie jemand, der nach Hause kam.
Steif blieb er vor dem Schreibtisch stehen. Der alte Schulmeister blätterte scheinbar desinteressiert in den Schriftstücken, ohne Atharis auch nur eines flüchtigen Blickes zu würdigen.
»Erfreut ist das Herz eines alten Mannes über so unerwarteten Besuch der Jugend.« Ein Hauch von Zynismus schwang in Makantheos Stimme mit.
»Spare deinen versteckten Tadel, denn es ist mir wohl bewusst, dass es lange her ist, da ich das letzte Mal hier gewesen bin. Doch schnell ist der Wandel der Welt in diesen Tagen und die Müßigen werden das Nachsehen haben. Ich erbitte daher Vergebung für diese Vernachlässigung!«
»Gewährt! Doch nun genug der Höflichkeiten! Es ist wahrhaft schön dich zu sehen, Atharis, mein Junge!« Makantheo blickte auf.
Vor ihm stand ein junger Mann von schlanker, jedoch muskulöser Statur. Er trug ein ärmelloses Kettenhemd über dunkelgrünem Leinen. Seine Unterarme wurden von breiten Lederschonern umschlossen, auf denen mit Silber ein fliegender Schwan gearbeitet war. Die Hose war aus festem Leder, an den Seiten gepanzert. Einen nachtblauen Umhang hatte er schlampig über die Schultern geworfen. An einem breiten Gürtel hing ein Bastardschwert in einer mit Silberbeschlägen verzierten Scheide. Es war die etwas bessere Ausführung der Soldatenuniform von Silbersee.
Der Schulmeister runzelte die Stirn. Wie leicht würden die Leute angesichts des Äußeren seines Sohnes zu dem Schluss kommen, einen ergebenen, stets auf Ordnung achtenden Staatsdiener vor sich zu haben! Er musterte Atharis weiter, bis sein Blick an den widerspenstigen Strähnen des dichten, braunen Haares hängen blieb, die dem Soldaten tief ins Gesicht hingen. Ein Lächeln huschte über das vom rauen Wetter der Berge geprägte Gesicht des alten
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