Bardo - Rueckfahrkarte Leben Tod
Fenstertür.
Anne, die ihren rundlichen Bauch streichelt, genießt das Panorama. Draußen eine wilde und verlassene Küste, so weit das Auge reicht. Das Wetter ist herrlich. Hinter ihr, neben dem Pfosten der Tür aus exotischem Holz, lässt Henry den Schalter los, mit dem die Vorhänge auf- und zugezogen werden, und legt die Hände auf seine Krücken. In der Mitte des riesigen Zimmers ruht Annes alter Koffer auf dem breiten, mit grauem Satin abgedeckten Bett. Die neuen Möbel stammen von Designern. Der Raum ist modern, tadellos, funktionell, als wäre er direkt aus einem Architekturmagazin übernommen worden. Es fehlt nichts, außer vielleicht ein wenig menschliche Wärme.
Anne dreht sich um und breitet die Arme aus zum Zeichen, dass Henry auf sie zugehen soll. Er umklammert die Griffe der Krücken und schickt sich an, einen ersten Schritt zu machen, unterbricht aber plötzlich seine Bewegung. Er packt beide Stöcke, wirft sie zur Seite und schwingt sich ohne Halt nach vorn. Ihm schlottern die Beine. Er wankt. Anne fängt ihn auf, kann aber sein Gewicht nicht abstützen. An ihren Körper gedrückt, gleitet er abwärts bis zum Boden. Er umschlingt ihren vorspringenden Bauch und vergräbt das Gesicht im
Kleid. Sie streicht ihm übers Haar und kniet sich vor ihn. Henry schlägt beschämt die Augen nieder. Anne fasst ihn am Kinn, hebt es, bis ihre Blicke sich kreuzen. Sie lächelt ihm freundlich zu.
»Das ist nicht schlimm. Wir können, wenn du willst.«
Ebenso streng wie verängstigt sieht er ihr in die Augen. Anne seufzt gerührt, erhebt sich und öffnet nacheinander die Knöpfe des Kleides. Zu ihren Füßen schaut Henry zu, wie sie sich auszieht. Er verzerrt das Gesicht, als hätte er Schmerzen. Anne entblößt ihre Schultern. Das Kleid rutscht und fällt herab. Sie trägt keinen BH. Ihre Brüste sind rund und schwer. Sie schiebt beide Daumen unter das Gummiband des Slips und streift ihn langsam nach unten, setzt sich dann aufs Bett und zieht ihn über die Knöchel. Sie ist völlig nackt. Starr betrachtet Henry das weibliche Geschlecht, das sich ihm darbietet. Anne weicht zurück, legt sich auf den Rücken, winkelt die Beine ab, drückt die Fersen in den Stoff der Matratze und lässt die gespreizten Schenkel nach außen fallen.
Es regnet. Anne, schwanger, joggt am Meer entlang. Sie ist durchnässt, allein. In der Villa, hinter der riesigen Fensterfront, die auf den Strand geht, sitzt Henry an
einem großen Tisch aus dunklem Holz. Konzentriert skizziert er auf weißem Blatt das Gesicht eines Mädchens.
Nacht. Im oberen Zimmer sind die Vorhänge weit geöffnet. Anne liegt auf ihrem Bett, umhüllt vom dunstigen Schimmer des Mondlichts. Sie hat die halb entblößten Beine angezogen. Sie schläft. In einem dunklen Winkel verharrt Henry auf einem Stuhl und betrachtet sie.
Ein schrilles Klingeln durchbricht die bedrückende Atmosphäre, die im nüchternen Innern herrscht. Anne erscheint oben an der Treppe. Sie stürzt die Stufen hinunter und eilt zur Haustür, beglückt, einen Besuch zu empfangen.
Draußen ist der Lieferwagen schon losgefahren. Der Fahrer hat die mit Nahrungsmitteln gefüllten Kästen auf der Fußmatte abgestellt. Außer Atem und enttäuscht hält Anne sich den Bauch und schaut dem Fahrzeug nach. Auf einem Sofa im Salon ausgestreckt, beobachtet Henry sie schweigsam. Er hat sich nicht gerührt.
Die Sonne strahlt herrlich. Der lange Strand ist verlassen. Anne trägt einen orangefarbenen Badeanzug und vergnügt sich lauthals lachend in der Brandung. Henry, völlig bekleidet, hüpft am Ufer auf und ab, um den kleinen Wellen auszuweichen, die bis zu seinen Schuhen schwappen.
Ein schützendes Tuch verdunkelt das Glasdach. Mehrere Dutzend hintereinander aufgestellte Gemälde lehnen umgedreht an den vergipsten Wänden. Der Zeichentisch ist übersät mit Skizzen von kleinen Mädchen, mit Bleistiften, angebrochenen Farbtuben, befleckten Pinseln und Lappen. Vor dem verhängten Fenster überarbeitet Henry ein Gemälde auf der Staffelei. Völlig versunken korrigiert er sorgfältig jenen Schatten, den die Vertiefung des Grübchens auf die Wange eines kleinen Mädchens wirft. Das Gesicht des Kindes hat Gestalt angenommen. Es scheint fast, als wäre es lebendig.
Anne tritt ins Zimmer und nähert sich Henry, der seine Arbeit fortsetzt. Sie beugt sich über ihn, küsst ihn auf den Hals und betrachtet aufmerksam die Leinwand.
»Unglaublich, welche Fortschritte du gemacht hast.«
Henry lächelt stolz.
Weitere Kostenlose Bücher