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Bardo - Rueckfahrkarte Leben Tod

Titel: Bardo - Rueckfahrkarte Leben Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruno Portier
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wollen.«
    Lucie schaut starr in die Richtung ihrer Mutter.
    »Aber du wirst ohne mich gehen müssen, meine Lucie. Und du wirst gehen.«
    Die Kleine betrachtet Anne, den Kopf leicht hin und her wiegend.

    »Und du wirst auch weiterhin lachen.«
    Lucie zeigt ein strahlendes Lächeln. Das Gewitter grollt von neuem. Lucie hebt die Augen.
    »Du wirst so laut lachen, dass ich dich hören werde.«
    Ein Regentropfen landet in Lucies Auge.

    Anne liegt auf der Seite, die Augen zusammengekniffen.
    »Wo immer ich bin, ich werde dich hören.«
    Anne hebt die Lider. Sie befindet sich in der Schlucht, an Evan geschmiegt. Er ist wieder eingeschlafen.
    »Du wirst sie von Zeit zu Zeit sehen, nicht wahr? Und du wirst ihr von mir erzählen.«
    Evans langsamer Atem zirpt, unterbrochen von Räuspern. Seine Bronchien sind verstopft.
    »Danke.«
    Anne drückt ihm einen besorgten Kuss auf die Wange, setzt sich auf und wendet den Blick dem alten Mann zu. Er liegt vor dem erloschenen Feuer und schläft ebenfalls. Anne steht auf, geht in seine Richtung und kniet sich vor ihn.
    »Verzeihen Sie.«
    Tsepel reagiert nicht. Anne legt ihm die Hand auf die Schulter und versucht ihn aufzuwecken, aber es gelingt ihr nicht.

    »Wachen Sie auf!«
    Ihre Hand durchdringt den Stoff.
    »Mist!«
    Anne bohrt ihre Faust ins Fleisch und schüttelt ihn heftig.
    Los, wach schon auf!
    Tsepels Schulterblatt verkrampft sich. Er öffnet die Augen, hebt den Oberkörper und sieht Evan, der, die Beine unter seiner Jacke, wie tot neben dem Leichnam liegt. Beruhigt lässt sich der alte Mann auf den Rücken fallen und nickt wieder ein.
    Das darf doch nicht wahr sein!
    »Bitte, Sie müssen Hilfe holen für Evan. Er hat …«
    Gebell unterbricht sie. Anne fährt herum. Aus der Ferne nähert sich ein Hund, der durchs Gestrüpp springt. Im Gegenlicht ist er kaum zu erkennen. Verängstigt weicht Anne zurück und schirmt die Augen gegen die Sonne ab. Sie durchquert die erloschene Glut, dann Evans Körper, stößt jedoch gegen ihren eigenen Leichnam und fällt rücklings darauf. Sofort zieht sie sich, auf die Unterarme gestützt, wieder hoch und will davonlaufen, als ihre Stimme plötzlich einen anderen Klang bekommt.
    »Hector?«
    Der Hund ist nur noch wenige Meter von ihr weg. Es besteht kein Zweifel. Das ist sehr wohl ein Bracke mit beigefarbenem Fell.

    »Hector?!«
    Er springt sie an und leckt ihr das Gesicht. Anne kippt um, fasst ihn am Halsband und versucht, seiner stürmischen Begrüßung für ein paar Sekunden Einhalt zu gebieten. Seine Freude ist zu groß. Sie zieht Hector an sich und umarmt ihn.
    »Hector, du bist es!«
    Ein Schatten fällt auf die beiden. Aufrecht vor ihnen stehend, bedeckt Annes Großvater die Sonne. Er trägt einen schwarzen, tadellosen Anzug und ein weißes Hemd, so strahlend weiß, dass es selbst im Gegenlicht sein Gesicht illuminiert.
    »Guten Tag, Anne.«
    Seine Stimme ist sanft und gütig. Verblüfft stößt Anne den Hund weg, der weiterhin aufgeregt kläfft. Sie steht auf, setzt sich auf ihren Leichnam und starrt ihn schweigsam an. Tränen der Rührung überschwemmen ihre Wangen. Der Großvater nimmt neben ihr Platz. Er packt Hector und zwingt ihn, neben seinen Füßen zu verharren. Anne lächelt selig. Er lässt den Blick auf ihr ruhen. Sie zögert einen Moment, wirft sich ihm dann an den Hals und schließt ihn mit aller Kraft in die Arme.
    »Dein Geruch hat sich nicht verändert … Es ist so lange her.«
    Anne lockert ihren Griff und betrachtet abwechselnd ihren Großvater und seinen Hund.

    »Wie glücklich ich bin, euch wiederzusehen. Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie sehr ihr mir gefehlt habt.«
    Der Großvater lächelt sie zärtlich an und wiegt verständnisvoll den Kopf.
    »Wie geht es dir?«
    Anne schaut auf Hector und streichelt ihm behutsam die Schnauze.
    »So lala.«
    Der Großvater legt einen Zeigefinger unter ihr Kinn und hebt es sacht, als wäre sie ein Kind. Anne sträubt sich nicht. Einige Sekunden mustert sie ihn nachdenklich.
    »Ich wusste, dass ihr nicht tot seid …«
    Er lacht.
    »Ah ja? Aber als du klein warst, hast du daran gezweifelt. Erinnerst du dich, damals, auf dem Strand?«
    Anne schnieft und lächelt.
    »Ja, natürlich erinnere ich mich. Auch ich war tot … Nun, nicht wirklich tot … Keine Ahnung, wie ich mich ausdrücken soll, aber du wirst es jedenfalls wissen. Es war genauso wie jetzt. Ich bin tot, du bist tot und Hector auch. Trotzdem sind wir da, alle drei vereint, als wären wir erst gestern

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