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Bardo - Rueckfahrkarte Leben Tod

Titel: Bardo - Rueckfahrkarte Leben Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruno Portier
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Henry zurückgebliebene Erleichterung zu bewahren und damit die groben, vom Schmerz verursachten Ausfälle zu dämpfen, die sie bei Evan wahrnimmt.
    Tsepel reicht ihm den Löffel.

    »Das ist die letzte Portion.«
    Evan grinst höhnisch.
    »Sie glauben ans Schicksal, nicht wahr?«
    Erfüllt von wohlwollendem Gleichmut stimmt Tsepel zu.
    »Ich nicht …«
    Tsepel nutzt den Moment, da Evans Mund halb geöffnet ist, und schiebt den Löffel zwischen die Lippen. Evan murmelt weiter, während er den Brei kaut, der die Wände seines ausgetrockneten Mundes bedeckt. Stille Tränen laufen ihm über die Wangen. Anne seufzt.
    »Warum tust du dir derart weh? Es ist nicht deine Schuld.«
    Anne steht auf, nähert sich Evan, nimmt auf seinen ausgestreckten Beinen den Lotussitz ein und umarmt ihn.
    »Hör auf, Trübsal zu blasen. Erinnere dich an die Augenblicke des Glücks, die wir zusammen erlebt haben. Du hast mich glücklich gemacht.«
    Sie schließt die Augen und konzentriert sich.

    Strömender Regen prasselt auf den High Park. Annes Hemdbluse ist durchweicht. Sie rennt, den Sportwagen vor sich her schiebend. Unter dem Verdeck, auf dem ihre Mutter den Trenchcoat ausgebreitet hat, trägt die
Kleine jenen roten, mit schwarzen Löchern übersäten Helm auf dem Kopf, Lucie Marienkäfer. Ein Mann, durch einen Regenschirm geschützt, geht an ihnen vorbei. Er bleibt stehen, macht dann aber kehrt, um sie einzuholen.
    »Verzeihen Sie!«
    Anne dreht sich um. Der Schirm hebt sich. Es ist Evan. Sein Gesicht ist blutleer, aber seine Stimme fröhlich.
    »Erinnern Sie sich an mich? Im Krankenhaus, der Unfall Ihrer Tochter …«

    Das Erkerfenster ist geöffnet. Die Stores wehen im Wind. Vor dem Haus begutachten einige Jungen ein großes, knallrotes Motorrad. An den Fensterrahmen gelehnt, beobachtet Anne in ihrem Sommerkleid still Evan und Lucie, die auf dem Teppich in der Mitte des Salons auf eine kleine Trommel schlagen. Lucie haut Evan mit ihrem Stock auf die Hand.
    »Aua!«
    Evan verzieht das Gesicht und schüttelt übertrieben die Hand. Lucie lacht hellauf. Evan betrachtet sie zufrieden und richtet den Blick auf Anne. Sie lächelt ihm zu.
    »Magst du Musik?«

     
    Große Gewitterwolken entfernen sich am Himmel. Das schattige Unterholz ist mit Glockenblumen übersät, der humusreiche Boden von Feuchtigkeit durchdrungen. Evan geht mit Anne und Lucie spazieren, die, immer noch behelmt, in ihrem Sportwagen sitzt. Die drei tragen leichte Kleidung. Anne spricht mit viel Schwung.
    »Er sagte, Bach sei der Einzige, der uns den Eindruck vermittle, dass die Welt nicht missraten ist, und der den einzigen überzeugenden Beweis für die Existenz Gottes liefere. Allerdings war er reiner und strenger Atheist. Komisch, findest du nicht?«
    Evan nickt lächelnd. Plötzlich bleibt Anne stehen.
    »Langweile ich dich?«
    Evan richtet den Blick zum Himmel und deutet auf einen Baumwipfel.
    »Schau doch!«
    Als Anne den Kopf hebt, versetzt er ihr einen heftigen Stoß. Darauf nicht vorbereitet, verliert sie das Gleichgewicht, rutscht und fällt in eine Pfütze.
    »Du hast sie wohl nicht alle!«
    Evan bricht in lautes Gelächter aus, Lucie ebenso.
    »Idiot!«

     
     
     
    John hält Lucie Marienkäfer in den Armen. Anne küsst ihre Tochter. Sie hat sich die Haare kurz schneiden lassen, was ihr ein gepflegtes, tadelloses Aussehen verleiht.
    »Du weichst keinen Schritt von ihr, einverstanden?«
    John bejaht, seiner Sache gewiss. Anne wirft Lucie einen Blick zu und läuft durch den Vorgarten. Jenseits der Hecke sitzt Evan auf seinem Motorrad und erwartet sie.

    Die Sopranistin beginnt die Arie »Das letzte Abendmahl« der Matthäus-Passion von Johann Sebastian Bach. Anne und Evan sitzen in der Mitte der Kirche, umringt von einem betagten Publikum. Anne hat den Hals hochgereckt, um die Sängerin besser sehen zu können. Sie weint, tief gerührt. Von der Seite betrachtet Evan sie mit einem amüsierten Lächeln.

    Das Loft ist von einfachen Fensterscheiben umgeben, grob verkittet in den verrosteten Eisenrahmen. Ein Bauerntisch, vier Bistrostühle, eine Matte aus Binsengeflecht, ein Ständer, einige Kleidungsstücke: der Raum ist schlicht eingerichtet. Anne und Evan sind aneinandergeschmiegt
auf dem Boden eingeschlafen. Um sie herum liegen Fotos von Batiken verstreut. Im hinteren Teil, zwischen zwei Kissenreihen auf einer Matratze ausgestreckt, schläft auch Lucie.

    Ganz in Weiß gekleidet, durchquert Evan einen langen Krankenhausflur. Anne taucht aus einer Nische

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