Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Barins Dreieck

Barins Dreieck

Titel: Barins Dreieck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hakan Nesser
Vom Netzwerk:
geklettert und rief den anderen etwas zu. Ich bemerkte, dass ich die Hände fest unter dem Tisch geballt hatte und das Blut in meinen Schläfen pochte.
    Und dann?, dachte ich.
    Und dann?
    Warum berichte ich das? Es muss Sie ja genauso irritieren, wie es mich irritiert hat.
    Warum hat sie nicht gestillt?
    Warum berichte ich das?
     
    Ich verließ das Café Freiheit mit einem schlechten Geschmack im Mund. Der Nebel war verschwunden, vielleicht nahm ich auch einfach nur einen anderen Weg. Auf jeden Fall war ich sehr viel früher wieder auf der Autobahn, als ich gedacht hatte.
    Ohne weiter nachzudenken, was ich eigentlich tat, schlug ich den Weg Richtung Süden ein. Immer noch war der Verkehr nur vereinzelt, und ich stellte fest, dass ich ungefähr zu der Zeit in K- eintreffen würde, zu der ich unter normalen Umständen meine Arbeit beendete.
    Was ich erzählen wollte, ist das mit dem Wendepunkt. Wenn er nicht so früh an diesem Tag eingetreten wäre, dann spricht nichts dafür, dass ich überhaupt jemals nach K- zurückgefahren wäre.
    Und in dem Falle hätte ja wohl alles anders ausgesehen, nicht wahr?

    5

    Im Schlupfwinkel des eigenen Heims

    Ich bitte um Entschuldigung.
    Ich muss mich noch einmal mit diesem ersten Tag beschäftigen. Vielleicht wäre es ja gar nicht nötig, aber nicht einmal im Nachhinein kann ich entscheiden, was von Gewicht ist und welche Details ich ebenso gut hätte auslassen können. Überhaupt habe ich während der ganzen Zeit Probleme, Strukturen und Muster zu finden, und wenn ich ab und zu abschweife, so bitte ich Sie, wie schon gesagt, um Verzeihung.
    Ich finde ganz einfach den kürzesten Weg nicht mehr.
    Weiß nicht, wo ich den entlarvenden Schnitt ansetzen soll.
     
    Meine Rückkehr nach K- trat ungefähr zu der Zeit ein, wie ich es erwartet hatte. Ein leichterer Verkehrsunfall in Höhe von Gimsen hatte mich zwar um gut zehn Minuten zurückgeworfen, aber kurz nach halb vier hatte ich einen freien Platz auf dem Grote Markt gefunden und ging wieder die Böttchergasse hinauf.
    Eine zunehmende Unruhe hatte mich die ganze Fahrt über begleitet, und als ich jetzt über die abgenutzten Pflastersteine lief und den Prachtgiebel des Rathauses vor mir sah – diese vertrauten Schritte, dieses viele hundert Jahre alte Milieu, das ich in- und auswendig kenne –, da schien es mir, als ob eine große Angst mich überfiele.
    Eine plötzliche Schutzlosigkeit. Das Gefühl, auf Gedeih und Verderb unbekannten Mächten ausgeliefert zu sein ... ja, ungefähr so. Möglicherweise war da auch noch der Verdacht, dass mich jemand beobachten könnte. Die Gasse lag leer und verlassen da, trotzdem hatte ich das ganz deutliche Gefühl von ... der Anwesenheit von etwas? Vielleicht war das gar nichts Neues. Vielleicht hatte es das bereits früher am Nachmittag gegeben, ich weiß es nicht.
    Schweißtropfen traten mir auf die Stirn. Meine Hand umklammerte den Griff der Aktentasche. Ich spürte heftiges Herzklopfen und war gezwungen, für ein paar Sekunden stehen zu bleiben und mich an die Mauer zu lehnen.
    Die Mauer, die das Sankt-Vincent-Kloster umschließt. Eine der Sehenswürdigkeiten unserer Stadt, wie man wohl sagen darf. Ich stand dort mit geschlossenen Augen und schwerem Atem. Suchte in der Tasche nach einem Taschentuch, um mir damit die Stirn abzuwischen, aber das Einzige, was ich fand, das waren ein paar Lottoscheine, die ich am Tag zuvor in einem Tabakladen mitgenommen hatte. Das Bedürfnis, ins Haus zu kommen, die Tür zu schließen und mich in meinem Zimmer zu verstecken, war plötzlich überwältigend stark, gleichzeitig erschien mir der Weg – diese lächerlichen hundertfünfzig Meter – fast unüberwindlich.
    Eine Schlucht ohne Brücke. Ein schwarzer Schlund.
    Trotzdem kam ich natürlich nach Hause. Wie im Schlaf zwar, aber ohne Probleme. Ich zögerte noch eine Weile im Hausflur, wusste nicht, ob ich die Treppen oder den Fahrstuhl nehmen sollte, bis ich mich für Ersteres entschied. Dann lief ich den ganzen Weg hinauf (unsere Wohnung liegt im vierten Stock, habe ich das schon gesagt?), obwohl es kräftig in Kopf und Brust hämmerte.
    Schloss die Tür auf. Warf die Aktentasche auf den Korbstuhl. Zog Jacke und Schuhe aus und konnte endlich durchatmen.
    Verschloss die Tür.
    Welch endlose Hilflosigkeit.
     
    Meine Frau war nicht zu Hause.
    Es ist höchste Zeit, dass ich sie vorstelle. Nicht, weil sie eine entscheidende Rolle in der Sache spielen würde, aber trotzdem. Wir haben, wie gesagt, uns früher

Weitere Kostenlose Bücher