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Barins Dreieck

Barins Dreieck

Titel: Barins Dreieck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hakan Nesser
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dass ich offensichtlich am gestrigen Tag in keiner Weise von den üblichen Routinen abgewichen war. Nichts, was darauf hindeutete, dass ich geistesabwesend gewesen war oder mich in irgendeiner Form unnormal verhalten hätte, tauchte auf. Nicht das geringste Zeichen.
    Ich fühlte mich mit anderen Worten ziemlich sicher im Sattel, als ich die Klasse hereinließ. Scherzte auf meine übliche, etwas akademische Art mit einigen der Mädchen. Notierte die Fehlenden im Klassenbuch. Stellte mich ans Lehrerpult und lehnte mich gegen die Buchstütze. Ließ die Klasse zur Ruhe kommen.
    »Lübbisch«, sagte ich dann. »Fasse bitte zusammen, worüber wir gestern gesprochen haben!«
    Lübbisch war eine sichere Karte. Er gehörte meistens zu den zwei, drei Besten bei den Arbeiten und hörte bei Zusammenfassungen und Befragungen immer zu.
    Genau wie ich erwartet hatte, hielt er jetzt, mit Hilfe seiner Notizen, einen ziemlich ausführlichen Vortrag über Kants und Humes Standpunkte hinsichtlich der wissenschaftstheoretischen Frage. Genau über das Thema, das ich am vergangenen Tag hatte behandeln wollen.
    Und offenbar auch getan hatte.
    Ich dankte Lübbisch und entschied mich schnell zu einer weiteren Kontrolle. Einer entscheidenden Prüfung.
    »Und Klimkes Paradox?«, fragte ich.
    Ein halbes Dutzend Hände reckten sich in die Höhe. Einige eifrig, andere eher zögerlich. Ich konnte nicht umhin, ich musste lächeln.
    Es gibt einige unter Ihnen, die noch nie von Klimkes Paradox gehört haben, habe ich Recht? Aufrichtig gesagt bezweifle ich, dass überhaupt einer von Ihnen davon gehört hat, auch wenn ich, wie gesagt, Sie nicht unterschätzen möchte.
    Aber das war natürlich der Punkt. Die Wahrscheinlichkeit, dass jemand anderes als ich selbst diese Fußnote der Geschichte der Philosophie kennen würde, musste wirklich als gegen Null tendierend angesehen werden.
    Ich ließ Irmgaard Wojdat das Vergnügen, die Klimkeschen Spitzfindigkeiten zu präsentieren und zu widerlegen. Anschließend gingen wir zwanglos zu Locke und Berkeley über.
    Ich muss zugeben, dass die Situation, auch wenn ich gefühlsmäßig natürlich eine gewisse Erleichterung verspürte, auf der intellektuellen und rationalen Seite alles andere als zufriedenstellend war. Die Prämissen waren klar und deutlich. Das Problem lag offen zu Tage, die unmöglichsten Schlussfolgerungen türmten sich plötzlich vor mir auf ... für diejenigen unter Ihnen, die nie unterrichtet haben, möchte ich gern betonen, wie einfach es ist, allen möglichen abstrusen Überlegungen anheim zu fallen, wenn man sich hinter dem Pult befindet, eine ruhig arbeitende Klasse vor sich. Während die Schüler also gegen Ende der Stunde einen Teil von Texten allein bearbeiteten, tauchten die absurdesten Erklärungsversuche in meinem Kopf auf, einer unsympathischer als der andere und alle mit einem ziemlich deutlichen Hauch von Sciencefiction. . . fremde Wesen, die mich in Besitz nahmen, Außerirdische, die meine Gehirnzellen manipulierten, halluzinatorische Drogen im Morgenkaffee und ähnliche zweifelhafte Dinge. Eine einigermaßen haltbare Theorie zu fabrizieren gelang mir dagegen nicht, ich kam nicht einmal in die Nähe davon, und als es zum Stundenschluss läutete, empfand ich eher eine zunehmende Irritation all dem gegenüber. Als wäre das Ganze nur die Frage einer Gleichung, der, wenn man alles in Betracht zog, die Lösung fehlte und die viel zu viel von meiner Zeit und Konzentration in Anspruch nahm.
    Ein Zeichen ohne Bedeutung. Eine Absurdität.
    Erst auf dem Heimweg passierte etwas. Während ich im Vorraum des Lehrerzimmers stand und mir den Mantel anzog, klopfte mir Friedendorff, unser taktvoller Religionslehrer, auf die Schulter.
    »Du, worüber wir gestern geredet haben ...«, sagte er und kratzte sich dabei am Nasenrücken. »Das lassen wir, ja?«
    Ich erstarrte, nickte dann aber doch. Spürte, wie meine Wangen heiß wurden.
    »Sie würde sowieso niemals mit schwarzen Trikots einverstanden sein, und außerdem könnte die Sache missverstanden werden ...«
    Er lachte kurz auf und verschwand in der Herrentoilette.
     
    Es ist natürlich alles andere als sicher, dass diese kurze Episode überhaupt in einem größeren Zusammenhang irgendwelche Bedeutung hat, aber ich weiß, dass ich später – während des gesamten folgenden Abends (den ich allein in meiner Wohnung verbrachte) – über Friedendorffs Satz nachdachte und grübelte. Später übrigens auch noch.
    Wer war sie ?
    Was wollten

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