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Barins Dreieck

Barins Dreieck

Titel: Barins Dreieck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hakan Nesser
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dachte ich. Möglicherweise war ich auch der Meinung, dass ich einiges von deConzas herleiten konnte, aber ich war mir nicht vollkommen klar darüber. Kann ich voraussetzen, dass Sie Rimley gelesen haben oder nicht? Wer weiß? Auf jeden Fall kam mir der erste Tag und meine Verfassung in den Sinn, als ich durch die Böttchergasse ging ... der Moment, als ich gezwungen war, anzuhalten und mich an der Mauer abzustützen.
    Wie anders sieht doch alles im Nachhinein aus. Wie leicht fällt es uns, das Zeugnis unserer Sinne zu bezweifeln, wenn sie nicht mehr ihre Reaktion zeigen.
    War es eigentlich Angst?
    Ist es möglich, dass wir Angst und Anwesenheit gleichzeitig empfinden? Ist es nicht immer so, dass es die Abwesenheit von etwas ist, was uns erschreckt? Ich klappte das Buch zu. Mein Essen kam, aber gerade als ich anfangen wollte, wurde ich eines älteren Herrn gewahr, der ein Stück von mir entfernt allein an einem Tisch saß. Er hatte schütteres Haar und trug keinen Bart, aber die gleiche kleine Plastikkarte am Revers wie alle anderen Kongressteilnehmer. Trotzdem saß er ganz allein da, etwas abgesondert von der übrigen Gesellschaft, genau wie ich. Auch er hatte irgendeine Lektüre auf dem Tisch liegen, ich konnte nicht genau erkennen, was es war ... eine Zeitung oder eine Fachzeitschrift wahrscheinlich, und zwischen den einzelnen Happen las er mit konzentrierter Miene.
    Vielleicht lag es an unser beider Einsamkeit, dass unsere Blicke sich während der Mahlzeit ab und zu begegneten. Wenn die immer ausgelassener werdende Telepathikergruppe an diesem Abend den Kontinent in Belvederes Speisesaal ausmachte, dann waren der Dünnhaarige und ich zwei isolierte, aber autonome Inseln.
    Vielleicht war da noch etwas anderes. Ich konnte nur mit Mühe den Gedanken an eine unsichtbare Anwesenheit beiseite schieben, natürlich hatte ich zu dem Zeitpunkt bereits einen gewissen Grad an Trunkenheit erreicht, aber ich meine dennoch behaupten zu können, dass es mehr Energie in dem Raum gab, als eigentlich der Fall hätte sein dürfen. Ein Überschuss ganz einfach, aber vielleicht war es auch nur mein eigenes Kraftfeld, das sich stärker zeigte als üblich; und über die Richtung der Kräfte kann ich gar nichts sagen.
    Im Nachhinein will ich gern zugeben, dass ich mir nicht vollkommen sicher bin, wovon ich hier rede. Ich versuche nur eine Art Zustand wieder auferstehen zu lassen, den ich zweifellos leicht identifizieren könnte, wenn ich wieder in ihn geriete, der sich aber nicht so ohne weiteres erklären lässt. Oder vermitteln.
    Wer noch nie die Farbe Rot gesehen hat, kann sie sich bekanntermaßen nicht vorstellen.
    Vielleicht fehlen mir ja auch nur die Worte. Mein Alkoholpegel stieg, ich will gar nicht drum herum reden, und deshalb war ich auch gar nicht verwundert darüber, dass ich plötzlich mein Glas hob und diskret dem einsamen Fremden zuprostete.
    Er lächelte nicht. Nahm nur höflich meine Einladung entgegen, indem er an seinem Wein nippte. Nach einer Weile deutete er aber doch auf den leeren Stuhl sich gegenüber. Ich machte ein Zeichen, um sicher zu sein, dass das sein Ernst war.
    Das war es, gab er mir durch ein anderes Zeichen zu verstehen.
     
    »Mein Name ist René Singh«, setzte er an. »Und Sie haben gar keinen Namen, wenn ich die Sache richtig verstehe?«
    Ich nickte, mir war sofort klar, dass er auf die Geschichte mit Doktor Barboza anspielte.
    »Ich muss sagen, das gefällt mir«, fuhr er fort. »Wollen Sie nicht einen Käseteller mit mir teilen?«
    »Gern.«
    Ich bot ihm eine Zigarette an, und eine Weile rauchten wir schweigend.
    »Warum sitzen Sie nicht bei den anderen?«, fragte ich.
    Er zögerte einige Sekunden mit der Antwort.
    »Ich bin das schwarze Schaf«, sagte er dann.
    »Das schwarze Schaf?«
    Er nickte, lächelte nur kurz dabei.
    »Ich bin Gedankenleser«, erklärte er.
    Ich wartete auf eine Fortsetzung, aber es kam keine. Er rauchte und schaute aus dem Fenster.
    »Wie kann ein Gedankenleser in der Telepathie ein schwarzes Schaf sein?«, fragte ich schließlich. »Ich hätte eher angenommen, das wäre das Gegenteil.«
    »Ganz und gar nicht.« Er schüttelte den Kopf. »Das ist für die das Schlimmste. Es gibt einen gewissen Unterschied zwischen Theorie und Praxis, wissen Sie. Man muss dabei bedenken, dass sie Dozenturen und Lektorenstellen innehaben und mit ihrer Arbeit Frau und Kinder versorgen. Nichts kann eine größere Bedrohung ausmachen als ein richtiger Telepathiker. Einer, der diese Fähigkeit

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