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Barins Dreieck

Barins Dreieck

Titel: Barins Dreieck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hakan Nesser
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hat, meine ich ... eigentlich ist es ganz natürlich, wenn man es sich recht überlegt.«
    Dennoch fand ich, dass es etwas bizarr klang, kam aber im Augenblick auf kein Argument, das seine Behauptung hätte widerlegen können.
    »Wie gehen Sie vor?«, fragte ich.
    »Es gibt verschiedene Methoden und unterschiedliche Niveaus«, erklärte er. »Bestimmte Menschen kann ich zwingen, sich zu öffnen, andere muss ich aufspüren, die Peilung aufnehmen, lauschen ... oft nimmt das viel Zeit in Anspruch, besonders, wenn ich mit der betreffenden Person nicht weiter bekannt bin.«
    Der Käseteller wurde serviert, begleitet von einer Flasche Portwein. Wir prosteten uns zu, und mir schien für einen Moment, als würde der Speisesaal schaukeln. Aber das stabilisierte sich gleich wieder, und wir ließen uns einen außerordentlich reifen Brie schmecken.
     
    Auch wenn ich natürlich gern eine Kostprobe von Herrn Singhs behaupteten Fähigkeiten erlebt hätte, schien es mir etwas plump, ihn direkt darum zu bitten. Stattdessen führte ich einkreisende Manöver aus.
    »Haben Sie schon immer diese Fähigkeit besessen? Ich meine. . .«
    Er wischte sich den Mund mit der Serviette ab, bevor er antwortete. Schien mit sich selbst zu Rate zu gehen.
    »Seit meiner Jugend. Auf jeden Fall wurde es mir zu der Zeit bewusst. Ich habe einen Zwillingsbruder, der starb, als ich zwölf war. In den letzten Jahren war er krank und bettlägerig, und wir hatten einen äußerst engen Kontakt zueinander, auch wenn ich nicht bei ihm saß ...«
    Er strich sich mit der Hand übers Kinn und richtete den Blick auf etwas hinter meinem Rücken.
    ». . . ich will nicht behaupten, dass das mit seinem Tod zu Ende war.«
    Ich zuckte zusammen. Starrte auf die Weintraube, die ich in der Hand hielt. Zweifellos hatte sie sich bewegt. Ein kleines Zittern nur, aber dennoch! Ich stopfte sie in den Mund und zerbiss sie. Es vergingen ein paar Sekunden, und immer noch saß Herr Singh da und schaute mir über die Schulter. Gewiss war ich zu diesem Zeitpunkt schon ziemlich betrunken, daran besteht gar kein Zweifel, aber das Gefühl, das mich zunächst überfiel, war dennoch zu intensiv, als dass es nur mit meinem Alkoholkonsum hätte erklärt werden können ...
    Etwas grub in meinem Kopf.
    Ja, ich merke, dass es ein wenig affektiert klingt, aber es ist wirklich kein schlechtes Bild. Meine Gedanken waren das Ziel eines Besuchs, und zwar eines ziemlich aufdringlichen. Jemand oder etwas wendete und drehte und wühlte darin herum, und es bestand natürlich kein Zweifel daran, wer hinter diesen Attacken steckte.
    Er vergewaltigt mich, dachte ich.
    »Verzeihung«, sagte er unvermittelt, und ich glaube, er errötete. »Ich wollte Sie nicht irgendwelchen Unannehmlichkeiten aussetzen. Es ist immer schwer zu sagen ...«
    Der Druck ließ nach.
    »Danke«, sagte ich.
    Es vergingen einige Sekunden.
    »Sie selbst sind auch Zwilling?«, fragte er.
    »Eigentlich nicht«, antwortete ich. »Ich hätte es sein können. Aber mein Bruder starb früher als Ihrer. Nur wenige Stunden nach der Geburt.«
    »Und Sie tragen seinen Namen, wie ich annehme?«
    Ich nickte.
    »Jakob Daniel. Wir sollten Jakob und Daniel heißen ... ich weiß nicht einmal, wer ich hätte sein sollen. Wenn Sie verstehen.«
    Wieder verstummten wir. Auf dem Telepathikerkontinent brach man in einen unisonen Gesang aus, der jedoch bereits nach wenigen Takten in Trümmern zusammenfiel. Er wurde ersetzt durch Lachsalven und Rufe. Ich warf einen Blick hinüber und sah, dass eine der Königinnen mit einer hartnäckigen Drohnenhand kämpfte, die versuchte, ihr unter ihre Bluse zu greifen.
    Herr Singh schenkte aus der Portweinkaraffe ein und bot mir eine Zigarette aus einem schwarzen Lederetui an. Der Tabak war fast grün, türkis vermutlich, und beim ersten Lungenzug geriet der Speisesaal erneut ins Wanken.
    »Das ist eine schwere Bürde«, sagte er.
    Ich konnte nicht ausmachen, ob das eine Frage oder eine Feststellung war.
    »Ja«, gab ich zu. »Meine Mutter hat mir alles erklärt, als sie meinte, ich wäre dafür alt genug ... ich war acht, wenn ich mich richtig erinnere. Du hast nicht nur dein eigenes Leben zu tragen, sagte sie. Du musst für dich und außerdem für deinen armen Bruder leben.«
    »Sie hat das niemals zurückgenommen?«
    »Wie bitte?«
    »Die Worte. Dass Sie für zwei leben müssen?«
    »Nein. Sie ist inzwischen über achtzig ... nein, sie hat ihre Meinung nie geändert. Ganz im Gegenteil.«
    Er nickte.
    »Ich

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