Barins Dreieck
für ein paar Tage reichen. Die Kassiererin lächelte mich freundlich an, und als sie mir das Geld überreichte, berührten sich einen Augenblick lang zufällig unsere Finger. Ich erinnere mich noch sehr deutlich daran, erinnere mich auch, dass mir das ein gehöriges Gefühl von Zuversicht gab.
In der Hotellobby waren ungewöhnlich viele Menschen, zumindest wenn man bedenkt, dass es sich um einen ganz gewöhnlichen Dienstag im Dezember handelte. Ganz überwiegend handelte es sich um Herren mittleren Alters und älter. Außerdem fiel mir auf, dass sie fast alle einen Bart trugen.
Die Erklärung für dieses ziemliche Gewimmel gab ein eingerahmtes Schild in der Rezeption:
Fifth International Conference
of Telepathy
Weigan, Dec 6-9, 199-
Es gelang mir, die Aufmerksamkeit der jungen, gehetzt wirkenden Dame hinter der Rezeption zu erlangen. Bat um ein Zimmer mit Dusche für zwei Nächte.
»Tut mir Leid«, lächelte sie und breitete die Arme aus. »Wir sind voll belegt. Die Konferenz beginnt in einer halben Stunde.«
Einer der Bärte drängte sich an mir vorbei.
»Ist Doktor Barboza endlich gekommen?«
Sie schüttelte den Kopf, der Bart verschwand. Ich dachte eine Weile nach. Wartete, bis die junge Frau mit etwas anderem beschäftigt war, dann wandte ich mich an ihren Kollegen, einen spindeldürren Herrn mit Pomade im Haar und Ring im Ohr.
»Entschuldigen Sie«, sagte ich. »Mein Name ist Doktor Barboza. Ich glaube, hier ist ein Zimmer für mich reserviert?«
»Aber sicher.«
Mit einer schnellen Geste drehte er das Journal herum, und ich trug mich ein. Nahm den Schlüssel für Zimmer Nummer 321 entgegen und begab mich ohne übertriebene Eile die Treppen hinauf.
9
Nachmittag mit Mühen
Einer meiner Therapeuten während meines ersten Krankenhausaufenthalts benutzte ab und zu einen Ausdruck, den ich nicht wieder vergessen konnte, vielleicht weil er einfach zu idiotisch klang.
Man solle auf der Welle der Tatkraft surfen, sagte er, und Sie müssen mir doch zustimmen, dass dieser Begriff eine gewisse Armut an Metaphorik bezeugt. Vielleicht gilt das auch für die gesamte Zunft, nicht nur für diesen einzelnen Psychiater. Oft konnte ich den Eindruck gewinnen, dass man, wenn es um die Seele geht, sich leisten kann, was man will.
Surfen auf der Welle der Tatkraft?
Wie lächerlich das auch klingt, es war jedenfalls ungefähr das, womit ich mich beschäftigte, nachdem ich in mein Zimmer gegangen war. Der Trick an der Rezeption erfüllte mich zeitweise mit so viel Zuversicht, dass ich es wagte, zum Telefon zu greifen.
Es war noch nicht einmal halb zwei. Noch fand die letzte Stunde im Elementargymnasium statt. Geschichte in einer Oberprima, sprachlicher Zweig. Saal XIV. Die Stromlandkulturen. Besonders am Ganges. Harappa. Mohenjo-Daro ...
Es war Frau deHuuis, die antwortete. Ich verstellte meine Stimme, so gut ich konnte, und bat, mit Studienrat Marr sprechen zu dürfen.
Der Herr Studienrat ist im Unterricht, erfuhr ich. Wäre es möglich, noch einmal anzurufen, oder könne er zurückrufen?
Nichts von beidem, leider. Meine Angelegenheit sei äußerst dringend, sie dulde keinen Aufschub. Man müsse bitte unverzüglich dafür sorgen, dass er ans Telefon komme.
Frau deHuuis murmelte etwas, was ich nicht verstehen konnte. Ich hörte sie nach Rejmer rufen, dem jüngeren unserer beiden Hausmeister, anschließend bat sie mich, ein paar Minuten zu warten.
Während dieser Minuten saß ich auf der Bettkante, den Hörer fest ans Ohr gedrückt. Ich verfolgte den Sekundenzeiger meiner Armbanduhr, und die ganze Zeit spürte ich, wie die Welle der Tatkraft unter mir verebbte.
Sie sank mit verzweifelt schneller Geschwindigkeit, bis nur noch eine hoffnungslos ruhige Pfütze von Brackwasser übrig blieb. Vielleicht hätte jedenfalls mein Therapeut die Lage so ausgedrückt, und als ich hörte, dass Studienrat Marr den Hörer am anderen Ende der Leitung aufnahm, spürte ich nur noch, wie eine schreckliche Kälte meine Kehle, mein Sprachvermögen und meinen Atem umklammerte.
»Ja, Marr hier.«
Meine Stimme klang ein wenig nervös, das konnte man feststellen, es war natürlich nicht üblich, aus dem Unterricht gerufen zu werden. Aber es gab keinen Zweifel. Jedes Zehntel an Phonem war korrekt. Das war ich.
»Hallo?«
Unruhe mit einem Hauch von Verärgerung. Ich legte den Hörer auf und warf mich aufs Bett zurück.
In einer Seitengasse zwei Straßen hinter dem Markt fand ich Arnini’s, ein unbedeutendes Restaurant mit
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