Barins Dreieck
dem Markt zu stieg er schräg nach oben und segelte der Sonne entgegen, während die Menschen riefen und ihn bejubelten und Hüte und Sonnenschirme in die Luft warfen.
Ich selbst verkroch mich hinter der Gardine, vor allen Blicken verborgen. Ich blieb dort stehen und schaute hinter ihm her, und ich wusste, dass er niemals wieder zurückkommen würde. Als er nur noch ein verschwindend kleiner Punkt an dem unendlichen Himmel war, ließ ich ihn aus den Augen.
Ich ließ ihn aus den Augen, sank zu Boden, und ich glaube, ich weinte.
»Darf ich um Ihren Namen bitten!«
Ein kräftiger Mann packte mich an einer Schulter und drehte mich auf den Rücken. In meinem Kopf blitzte es auf. Ich öffnete die Augen.
Das Gesicht war grob geschnitzt. Die Haare kurz geschnitten, die Kinnpartie vorgeschoben. Die geröteten Augen betrachteten mich mit einer Armlänge Abstand.
»Wo haben Sie Ihre Schuhe?«
Die Stimme kam von einem anderen Mann. Ich konnte nur seine Beine sehen, er stand am Fenster. Der Grobe schüttelte erneut meine Schulter.
»Sind Sie wach? Wie heißen Sie?«
Ich bekam einen Hustenanfall, und nur mit knapper Not gelang es mir, mich nicht über den Eindringling zu erbrechen.
Der Hintere trat ans Bett. Er war dünner. Sah aalglatt aus, mit zurückgekämmtem, dunklem Haar und einer Brille, durch die ich nicht hindurchsehen konnte. Er streckte mir ein blauweißes Plastikkärtchen hin. Ich erkannte, dass er irgendwie dem anderen übergeordnet sein musste.
»Polizei«, erklärte der Grobe. »Nun?«
»Ich ... worum geht es?«, fragte ich.
»Der Name!«
»Marr«, sagte ich und musste wieder husten. Der Grobe ließ von mir ab und setzte sich auf einen Stuhl. Er zog einen Notizblock heraus.
»Marr?«, fragte er.
»Ja.«
»Vorname?«
»Jakob Daniel.«
Der Grobe notierte. Der Dünne fuhr sich mit der Hand über seine Bartstoppeln. Ein leises Raspeln war zu hören.
»Können Sie das beweisen?«
»Ja, natürlich. In meiner Brieftasche ...«
»Wo ist die?«
»In der Hose ... oder in der Innentasche der Jacke.«
Der Dünne holte meine Kleider. Warf sie aufs Bett.
»Wir haben alles durchsucht. Nichts zu finden!«
Ich grub in den Taschen. Fand Geld und Schlüssel in den Gesäßtaschen der Hose, sonst nichts.
»Haben Sie immer Ihr Geld lose in der Gesäßtasche?«
»Nein, nie. Darf ich darum bitten, dass Sie mir jetzt erklären, worum es eigentlich geht.«
»Das kommt später.«
Der Dünne nahm die Brille ab und putzte sie mit einem Taschentuch.
»Dann wollen wir mal sehen, ob wir Ihre Schuhe finden können.« Er lächelte kurz und gab mir Zeichen, aus dem Bett aufzustehen. Ich kam auf die Beine. Zog mir die Hose an.
»Warum?«, fragte ich.
»Später.«
»Meine Schuhe?«
Sie nickten beide und tauschten einen konspirativen Blick aus. Ich schaute mich um. Beugte mich hinab und guckte unters Bett. Eine Schmerzenswelle fuhr durch meinen Kopf. Ich öffnete die Tür zum Kleiderschrank. Nichts. Kontrollierte das Badezimmer. Der Dünne folgte mir mit einem halben Meter Abstand, ich konnte seinen Atem wie eine Fieberwelle im Nacken spüren. Ich setzte mich wieder aufs Bett.
»Warum sind Sie an meinen Schuhen so interessiert?«
»Ich glaube, es ist das Beste, wenn wir uns an die Regeln halten, Herr ... Marr.«
»An welche Regeln?«
»Wir stellen die Fragen. Sie antworten.«
Ich sagte nichts.
»Sind sie das hier?«
Der Grobe wühlte in einer Plastiktüte und zog meine Schuhe hervor.
»Ja ... ja, das sind sie.«
»Sind Sie sicher?«
»Ja, natürlich.«
»Wo haben Sie sie gestern ausgezogen?«
»Hier ... na, hier natürlich. Bevor ich ins Bett gegangen bin ... normalerweise schlafe ich nicht in Schuhen.«
Das war verschwendete Mühe.
»Welche Nummer hat Ihr Zimmer?«
»321. Warum?«
»Und wie lässt es sich dann erklären, dass wir Ihre Schuhe in 306 gefunden haben?«
»Das ... das weiß ich nicht.«
Plötzlich erwachte die Wut in mir. Das war natürlich auch höchste Zeit. Der Kopfschmerz, die Übelkeit und ein vages Schuldgefühl hatten sie lange genug zurückgehalten, aber jetzt reagierte ich endlich.
»Darf ich die Herren bitten, mir endlich zu erklären, was zum Teufel das alles soll! Ich lasse es nicht zu, so einer Inquisition ausgesetzt zu werden, und das noch vor ... noch vor ...«
Ich schaute auf die Uhr. Erst halb neun? Viele Minuten konnte ich seit dem Anruf nicht geschlafen haben.
»All right«, sagte der Dünne und trommelte mit den Fingern auf den Schenkel. »Es geht um
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