Barins Dreieck
aber entschieden lehnte ich das Angebot, mit dem Wagen zurück ins Belvedere gebracht zu werden, ab. Nachdem ich mein Hab und Gut wieder erhalten hatte, verabschiedete ich mich von Mort und verließ das Revier. Immer noch hing der gleiche dünne Regen wie am Vortag über der Stadt, und der gleiche milde Wind strich vorsichtig durch Straßen und Gassen. Irgendwie weichherzig. Noch waren die meisten Geschäfte geöffnet, ich schlüpfte bei einem Herrenausstatter gleich neben Arnini’s hinein und versah mich mit einem neuen Hemd, Unterhosen und Strümpfen. Als ich danach den Markt überquerte, entdeckte ich ein Papierwarengeschäft, direkt Wand an Wand mit dem Weinladen, den ich gestern aufgesucht hatte.
Ich blieb stehen, eine Idee war mir gekommen, und zehn Minuten später konnte ich ein dickes Notizbuch mit dunkelblauer Wachspapierhülle sowie zwei neue Kugelschreiber auf den Schreibtisch in meinem Zimmer legen.
Ich badete fünfundvierzig Minuten lang. Löschte das Licht und lag mit dem Kopf an den Badewannenrand gelehnt da, während sich die Spannung meines Körpers langsam in dem heißen Wasser löste.
Etwas später hatte ich ein neues kleines Restaurant gefunden, Vlissingen, in einer anderen Seitengasse. Im Verlauf einer Stunde aß ich ein Gulasch mit Salat und Mortadella. Ich hatte weiß Gott keine Lust, noch einen Abend unter den Telepathikern zu verbringen, auch wenn man sicher davon ausgehen konnte, dass an diesem Tag die Stimmung anders sein würde als am Tag zuvor.
Es war gegen halb elf, als ich mein Zimmer wieder betrat. Ich rief in der Rezeption an und bestellte Kaffee. Nach wenigen Minuten tauchte ein süßes farbiges Mädchen mit einer ganzen Kanne auf. Sie wünschte mir eine ergiebige Nacht ... ja, ergiebig sagte sie, und ich gab ihr fünf Gulden Trinkgeld.
Anschließend setzte ich mich am Schreibtisch zurecht und schlug mein Buch auf. Schrieb ganz oben auf die Deckblattseite meinen Namen. Schaute auf den Markt hinaus und verfolgte in Gedanken mit dem Blick die wenigen nächtlichen Flaneure, die ab und zu dort draußen auftauchten, während ich überlegte, wie ich anfangen sollte. Nippte am Kaffee, der stark und gut war und mich auf jeden Fall viele Stunden wach halten würde.
Unter dem Baum standen die Pferde, träumend, dachte ich, und mir ist schon klar, dass Sie mir diesbezüglich nicht folgen können.
Dann begann ich.
»Im November verlor der Holunder endlich seine Blätter, und zu der Zeit begann es«, schrieb ich. Das war der erste Satz, der mir ernsthaft einfiel, und ich wusste, das musste der richtige sein.
Im November verlor der Holunder seine Blätter ...
Um halb drei Uhr rief ich wieder bei der Rezeption an, und eine Viertelstunde später erschien das gleiche Mädchen mit Tee und Broten bei mir. Auch diesmal gab ich ihr fünf Gulden, und als sie mich anlächelte, begriff ich, dass wir uns tatsächlich verstanden. Es ist schon möglich, dass ich unter anderen Umständen versucht hätte, die Gelegenheit zu nutzen oder in irgendeiner Form auf die Situation einzugehen, aber wie es nun einmal war, hatte ich momentan sehr viel wichtigere Dinge zu erledigen, die meine ganze Aufmerksamkeit erforderten.
Ich war zu diesem Zeitpunkt bis zum Ende des ersten Tages gekommen, immer noch schrieb ich mit viel Eifer, und ich wusste, dass ich bis zu Bernards Abreise und der Episode im Arbeitszimmer kommen musste, erst dann war es an der Zeit, das Buch zuzuklappen.
Um fünf Uhr erwachte ich von einem Knall. Vielleicht war es ein Vogel gewesen, der gegen mein Fenster geflogen war, auf jeden Fall hatte ich den Eindruck. Oder es war nur etwas vom Schreibtisch heruntergefallen. Ich war zurückgelehnt auf dem Stuhl eingeschlafen, die Arme gekreuzt, das Kinn auf der Brust. Ich ging davon aus, dass ich auf diese Art und Weise nicht besonders lange geschlafen hatte, vermutlich nur ein paar Minuten. Ich beugte mich vor und las die letzten Zeilen im Buch.
»Hinten am Fenster, das die gesamte Stirnseite einnimmt, gibt es drei Arbeitsplätze. Meinen eigenen, die der Kollegen Friijs und Kasparsen.
Friijs, Marr und Kasparsen.«
Ich konnte mich überhaupt nicht daran erinnern, das geschrieben zu haben. Ich guckte mir einige Zeilen weiter oben an – eine kurz gehaltene Beschreibung meines vertrauten Arbeitszimmers im Elementar ... und plötzlich, ich glaube, es war das dritte oder vierte Mal während der letzten Tage, überfiel mich erneut dieses Würgegefühl. Mein Hals wurde
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