Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Barins Dreieck

Barins Dreieck

Titel: Barins Dreieck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hakan Nesser
Vom Netzwerk:
zusammengezogen wurde. Das gleiche Eisen, die gleichen Rostflocken.
    Ich erinnere mich nicht, wie ich die Innenseite meiner Unterarme aufkratzte, und auch nicht, wie es mir gelang, mich selbst bewusstlos zu schlagen.
    Und nichts von Ärzten und Polizisten, die bei mir waren und mir eine Zwangsjacke anzogen.
     
    Auch weiß ich nicht mehr, ob die anschließenden Halluzinationen eine direkte Folge irgendeiner Droge waren, die man mir injizierte, oder ob sie sich von allein einstellten. Jedenfalls war es die nackte Glühlampe unter dem Blechschirm oben an der Decke, die sie bewirkten. Ich habe auch keine Probleme, sie mir wieder ins Gedächtnis zu rufen. Wenn ich die Augen schließe, kann ich sie vor mir sehen, diesen pulsierenden, gelben Lichtkreis, der sich ein wenig wie ein Atmen bewegt oder wie Wellen, die endlos über einen lang gestreckten Strand rollen. . . und wie das Bild, mein Bild vom Licht, vom Atmen, den Wellen, langsam von zwei aufragenden, gegenüber platzierten Flanken verdeckt wird. Es wird dunkler und dunkler, es ist feucht von Blut, und dieses pulsierende Licht ist plötzlich weit weg. Ich liege auf dem Rücken in dem warmen Blut, das aber so schnell erstarrt und kalt wird, oh, so schnell ... zwischen diesen gewaltigen Frauenschenkeln liege ich, und ich erkenne, was da vor sich geht oder was ich hier tue. Stimmen sind zu hören, auch aus der Entfernung ... und das abschließende Klirren eines scharfen Instruments, das in eine harte Schale gelegt wird, und ich weiß plötzlich, dass ich genau in diesem Moment geboren werde und dass mein gesamtes Leben genau in einer Stunde ablaufen wird und dass es diese Totalität meiner gesammelten Eindrücke von der Welt ist, die mich die ganze Zeit überfällt. Das geht alles natürlich ganz schnell, es bleibt keine Zeit auszuwählen, zu zaudern oder auf die Zukunft zu verweisen, verdammt noch mal, ich werde ja in fünfundfünfzig Minuten sterben ...
    Der Geruch und der Geschmack und die Konsistenz von warmem, aber erkaltendem Blut. Dieses eigentümliche, ferne Licht. Die Stimmen und die scharfen Geräusche. Und ein schrecklicher Schmerz, der aus mir selbst entsteht und der bald alle anderen Empfindungen dominiert.
    Kaum bin ich aus dem Schoß meiner Mutter gekommen, schon ruft mich der Tod zurück.
    Das Licht, das Blut, die Geräusche.
    Der Schmerz.
    Das Licht, das Blut ...
    Ja, das ist die Halluzination an diesem Nachmittag, so kommt die Welt zu mir, und es ist natürlich keine Kunst, sie im Nachhinein zu interpretieren, zu verstehen und sich auf andere Art darüber zu erheben.
    Aber, meine Damen und Herren, wenn wir nun wirklich in diesem ganzheitlichen Spinngewebe leben, in dem eins das andere bedingt, in dem alles sich durch alles bewegt und in dem jede Sache ihre Spuren hinterlässt, in dem nichts ... nichts es verträgt, ausradiert zu werden ... auf welchen unergründlichen Wegen werden sich dann die letzten Gedanken dieses sterbenden Kindes fortpflanzen, welche Energieformen sind notwendig, um dieses schwarze Loch zu überbrücken?
    Diese Abgründe.
    Ich heiße Jakob Daniel Marr.
    Jakob Daniel.
     
    Ich erwachte verdreht und wund. Lag wie ein Kafka-Käfer auf dem Rücken und spürte sofort das wachsame Auge im Guckloch. Außerdem war ich mir augenblicklich darüber im Klaren, dass man mir etwas Beruhigendes verabreicht hatte. Schließlich hatte ich das ja früher schon mitgemacht ... er hatte etwas Bekanntes an sich, dieser Zustand, ein bitterer Metallgeschmack auf der Zunge und eine Art taube, zähe Schwere im Körper. Vermutlich keine stärkeren Drogen, da ich ja aus eigener Kraft aufgewacht war. Moridon vielleicht oder eine kleine Dosis Valgan.
    Soweit ich es beurteilen konnte, war es immer noch Nachmittag. Spärliches Tageslicht sickerte durch das Fensterloch herein, vom Flur her war ein klappernder Teewagen zu hören. Offenbar war es wieder Zeit zum Essen. Meine Uhr saß schlecht, ich konnte sie unmöglich unter der Zwangsjacke erreichen, ich machte ein paar Versuche, gab aber schnell auf. Der Körper juckte und war irritiert, zumindest was die oberen Hautschichten betraf, und ich erinnere mich, dass ich dachte, jetzt würde ich jedes Geständnis unterschreiben, wenn ich dafür nur ein reelles Bad erhalten würde.
    Ich rief nach der Wache, aber ohne Reaktion. Vielleicht war derjenige mit der Essensausgabe beschäftigt; stattdessen fing ich an, mich im Bett hin und her zu rollen, und kam so schließlich auf die Füße. Ich schleppte mich bis zum

Weitere Kostenlose Bücher