Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Barins Dreieck

Barins Dreieck

Titel: Barins Dreieck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hakan Nesser
Vom Netzwerk:
Hand über den Nacken streiche, und betrachte mich mit einem vorsichtigen Lächeln. Einem Lächeln, das nicht verschwindet, das sicher im Sattel sitzt, halb ironisch, denke ich, halb mitleidig.
    Ich erwidere den Blick, aber ich lächle nicht. Keiner von uns bewegt sich, keiner macht auch nur den Ansatz, weiter zu gehen. . . aus dieser still stehenden Spiegelung herauszukommen.
    Langsam rinnt die Kraft aus mir heraus. Bereits nach wenigen Sekunden weiß ich, dass ich der Schwächere bin und dass ich wieder verlieren werde, aber ich halte dennoch, solange es geht, aus.
    »Verzeihung«, sage ich dann. Setze mich auf den Korbstuhl, während ich mir die Schuhe binde. Stehe auf. Nehme wieder Mantel und Schal und verlasse meine Wohnung.
    »Verzeihung«, murmle ich noch einmal.
     
    Die Treppen ohne Hast. Ich zähle die Stufen. Meine Müdigkeit ist groß.
    Ich überquere die Straße, zögere für einen Moment vor der Bibliothek, sehe aber, dass dort drinnen viele Menschen sind. Ich gehe weiter die Domgasse hinunter. Am Grote Markt gehe ich ins Kino Fox. Der Nachmittagsfilm läuft bereits eine Weile, aber ich habe ihn schon einmal gesehen. Die Marionetten von Colchis. Außerdem interessiert er mich nicht.
    Das müssen Sie doch wohl verstehen?
    Ich brauche einfach einen Ort, wo ich mich hinsetzen kann.
    Wo ich in der Dunkelheit und Einsamkeit sitzen kann.

    19

    Der 14. Januar

    Genauer gesagt die Nacht zum fünfzehnten. Ich sitze an meinem alten Schreibtisch, die Lampe heruntergedrückt, so dass der Lichtkegel nur einen kleinen Kreis um das Notizbuch selbst bildet. Ich spüre die Wärme der Glühbirne auf dem Handrücken.
    Vor mir, durch das Fenster, kann ich auf die Dachgiebel schauen, die von einem leichten Schneefall, der vor ein paar Stunden vorbeizog, gepudert sind. Der Himmel ist grauviolett, aber in keiner Weise bedrohlich, er wölbt sich wie eine schützende Kuppel über die weiße Stadt. Alles ist vollkommen still. Kalt vermutlich. Kein Wind.
    Ich werde morgen nicht arbeiten können. Die Kräfte haben mich verlassen. Ich habe nachmittags einen Termin bei Lorenz Piirs, das ist derjenige meiner Therapeuten, zu dem ich beim letzten Mal, als es passierte, das größte Vertrauen aufgebaut habe. Vielleicht der Einzige übrigens, natürlich ist es viel verlangt, von ihm zu erwarten, dass er mich so kurzfristig drannimmt, aber er stimmte der Sache ohne Diskussion sofort zu.
    Ich muss mit jemandem reden, es hat seine Zeit gedauert, diesen Beschluss zu fassen, aber jetzt habe ich mich so entschieden. Gestern, das war eine finstere Geschichte, sehr, sehr finster. Erst nach der letzten Vorstellung habe ich das Fox verlassen. Wäre es möglich gewesen, ich glaube, ich hätte auch noch die Nacht dort verbracht, aber als der Hausmeister in den erleuchteten Saal trat, trottete ich gehorsam mit dem zärtlichen Liebespaar hinaus, das ich während der letzten Stunden vor mir gehabt hatte.
    Draußen auf dem Markt versuchte ich von einer Telefonzelle aus anzurufen. Ich wollte Nancy sprechen, bekam aber nicht einmal eine Verbindung. Für einen Moment zögerte ich, rauchte eine Zigarette und lief ziellos zwischen den Tauben herum, die die Überreste des Tages aus dem Rinnstein pickten. Dann nahm ich den Wagen und begab mich zum Elementar.
     
    Eine Schule nachts, das ist eine gottverlassene Kathedrale. Die Leere und die fehlenden Menschen rufen aus den Ecken, jede Treppe ist ein Gewölbe, jeder Klassenraum eine Krypta. Die Flure hallen von Todessehnsucht wider, hinter verschlossenen Türen brütet Gottweißwas. Ich eilte, so schnell ich konnte, hindurch. Der Mond warf bleiche Lichtganglien nach mir, ich nahm die Treppe in den Munckflügel hinauf, fand dort den Ruheraum. Schloss die Tür auf, schaltete die Lampe über der Liege ein. Schloss die Tür, zog die Decken über mich. Normalerweise benutze ich diese Örtlichkeit nicht, ich kann mich nicht daran erinnern, es überhaupt jemals getan zu haben, und sicher werde ich es niemals wieder tun.
    Es war schon nach zwölf Uhr. Die Kammer war kleiner als meine Zelle in Weigan, da gab es keinen Zweifel. Ein Bett und ein Tisch, das war alles. Ein Haustelefon. Fenster ohne Vorhang, durch das der Mond bald hereinkroch und seinen kalten Schein über die ganze Wand ergoss.
    Irgendwann zwischen drei und vier muss ich eingeschlafen sein, und Sie müssen wissen, dass die folgenden Stunden zu denen gehören, an die ich mich nicht mehr erinnern möchte, über die ich keine Rechenschaft ablegen und keine

Weitere Kostenlose Bücher