Barins Dreieck
Zeile schreiben will.
Der Tag danach, heute (gestern ... schließlich ist es schon früher Morgen), war eine Segelfahrt ohne Ruder. Ich verspürte nur einen Ekel und das Gefühl des Ausgeliefertseins gegenüber all diesen jungen Augen und Ohren. Und eine große Müdigkeit natürlich. Die letzte Stunde brach ich zehn Minuten vor dem Klingeln ab, etwas, was ich mir im normalen Fall niemals erlauben würde ... Ich spürte das unterdrückte Misstrauen und die Feindlichkeit der Schüler, wie ein Gewebe, wie der muffige Geruch ungewaschener Wunden hing es im Klassenraum.
Im XIIer, ja, genau.
Ich floh fast aus der Schule. Meine Nervosität wurde mit jedem Schritt stärker, als ich erneut die Treppen hinauf ging – die versprochene Fahrstuhlreparatur ließ immer noch auf sich warten. Mit jedem Pulsschlag und angestrengten Atemzug. Eine weitere Begegnung mit mir selbst konnte nur in einem Zusammenbruch und einem Aufgeben enden, das wusste ich. Das stand mit Flammenschrift an der Wand. Als ich den Flur betrat, wurde ich aber nur von den Stimmen von Mima und Catherine, ihrer Arbeitskollegin und Freundin, empfangen, die sich in der Küche unterhielten.
Artig begrüßte ich sie. Machte mir Tee und Brote, und den Rest des Tages und Abends habe ich in meinem Zimmer zugebracht. Nach der positiven Antwort von Piirs ist es mir gelungen, mir eine gewisse Ruhe einzureden.
Sicher, das kommt und geht, aber es bleibt in Reichweite.
Ich habe ein paar Stunden geschlafen. Habe unkonzentriert hier und da ein paar Seiten gelesen, in erster Linie in Zeitschriften, und schließlich habe ich also mein Notizbuch hervorgeholt.
Aber jedes Mal, wenn ich versuche, mich meinem Eindringling zu nähern (ich habe jetzt beschlossen, dass ich ihm diesen Namen geben will), schlägt er einen Haken. All das weckt so starke Gefühle in mir, erzeugt so eine Unruhe, dass sie nicht mehr zu bewältigen ist. Ich kann keine Gedanken oder Ideen mehr fassen, kann keine Linien ziehen, Ursache und Wirkung schweben frei im Raum, und mein ganzes Ich scheint in einem unnahbaren Flimmern aus Worten, Bildern und ekstatischer Energie aufgelöst zu werden.
Als würde mein Bewusstsein im nächsten Moment explodieren.
Was sagen Sie dazu?
»Je später der Tag, umso greller die Bilder.«
Wirklich? Ja, schon möglich, dass ich Ihrer Meinung bin. Und übrigens, wie nett, dass Sie sich endlich herablassen, auch etwas zu sagen. Dass ich Sie so weit gebracht habe. Ich wage es dennoch zu behaupten, dass Sie keine Spur meines inneren Aufruhrs bemerkt hätten, selbst wenn Sie direkt hinter mir gestanden hätten ... ich sitze ja immer noch einfach nur hier und schaue über die Dächer. Sie existieren. Die Stadt dort draußen existiert, die ganze Welt.
Und die Worte, die ich schreibe, bleiben auf dem Papier. Tatsächlich! Ich reiße alle Sicherheit an mich, die ich nur kriegen kann, das ist ja verständlich. Meine hysterische Seele muss heute Nacht gefesselt werden. An diese Bojen aus Ordnung und Trivialität befestigt werden. Durch diese Worte, die ich ununterbrochen für meine eingebildeten Leser aus mir herausbringe.
Jakob Daniel Marr.
Der fiktive Erzähler des fiktiven Publikums. Welch ein Schauspiel!
Morgen ist ein neuer Tag. Den Vormittag werde ich schlafen. Am Nachmittag überlasse ich mich Lorenz Piirs.
Es ist vier Uhr. Die Müdigkeit schlägt Nägel in meinen heißen Kopf.
20
Der 22. Januar
Nacht.
Die gleiche gepuderte Schneedecke. Die gleiche blaulila Kuppel über der Stadt. Die gleiche Welt. Der Januar setzt sich fort. Mein Tagesablauf hat sich verschoben. Ich bin die letzten Nächte erst um zwei, halb drei ins Bett gekommen. Stehenden Fußes hat Piirs mich für vierzehn Tage krankgeschrieben, natürlich bin ich ihm dankbar dafür. Die Morgenstunden ziehen sich in die Länge, jeden Tag ein bisschen mehr, ich versuche dennoch, der Ordnung halber, vor zwölf Uhr zum Frühstück hoch zu kommen.
Ich bin überanstrengt, das habe ich meine Frau wissen lassen. Zu meiner Überraschung scheint sie sich damit zufrieden zu geben. Sie stellte keine Fragen, hob nicht einmal die Augenbraue. Ich weiß nicht so recht, wie ich das deuten soll, aber es ist nichts, was mir Sorgen macht. Im Augenblick ist sie weggefahren. Eine Konferenz in Würgau für vier Tage. Ich bin allein in der Wohnung. Denke über mein Leben nach, lese alte Bücher oder Teile daraus ... vor allem Kriminalromane und Lyrik. Warnock. Rilke und Quentin. Höre Radio. Spiele Schach mit dem Computer.
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