Barins Dreieck
Jetzt seit einer Woche keine Gedächtnislücken mehr. Kein Eindringling.
Piirs entsprach meiner Erwartung, das muss ich sagen. Ich habe häufig Termine, ganz nach meinen und seinen Wünschen.
Der letzte war gestern. Der dritte innerhalb von sechs Tagen. Der nächste ist morgen.
Natürlich war ich ziemlich nervös vor unserem ersten Gespräch. Gespannt, wie er auf meinen Bericht reagieren würde, wieweit er dem Glauben schenken würde oder nicht ... ob er alles als wildes Hirngespinst und ein Produkt meiner Phantasie ansehen würde oder ob er mich ernst nehmen würde. Das Unerhörte als das, was es ist, akzeptieren könnte.
Er ist natürlich viel zu sehr Profi, als dass er sofort seine Meinung zeigen würde, aber während ich erzählte, war ich die ganze Zeit äußerst aufmerksam. Bereit, das geringste Zeichen in seiner Physiognomie oder seinem Verhalten wahrzunehmen, das auf Zweifel hindeuten könnte.
Nicht eine Sekunde lang, nicht um eine Haaresbreite verriet er sich, und ich konnte beruhigt feststellen, dass er mir auf Punkt und Komma glaubte. Natürlich war ich auch erleichtert, aber, wie gesagt, von dem halben Dutzend an Therapeuten, mit denen ich in Kontakt gekommen bin, ist es eigentlich nur Lorenz Piirs, zu dem ich wirklich Vertrauen habe. Ich spüre, dass ich bei unseren Sitzungen vollkommen offen sein kann ... mit seiner Intelligenz und großen Sensibilität begreift er oft Dinge schon lange, bevor ich sie selbst habe in Worte fassen können, bevor ich sie überhaupt formuliert habe. Ich muss nicht überdeutlich sein, mich nicht anstrengen. Er versteht es auch so.
Klein und dünn. Immer im schwarzen Anzug sitzt er hinter seinem großen Schreibtisch und hört zu, das Kinn auf die Hand gestützt. Er nickt ab und zu und brummt oft zustimmend, sagt aber eigentlich nicht besonders viel.
Er ist ein alter Hase, ich nehme an, er hat die Sechzig schon erreicht, auch wenn er einen sehr drahtigen, vitalen Eindruck macht. Das Haar ist ergraut, an den Schläfen fast weiß, der schüttere Bart dunkler, es würde mich nicht wundern, wenn er ihn gefärbt hat. Ein sehr ansehnlicher Herr alles in allem.
Distinguiert, wenn Sie es so nennen wollen.
Eigentlich weiß ich nicht sehr viel über ihn, seine Praxis liegt in dem Viertel hinter der Universität, in einem alten Jugendstilhaus mit vergoldetem Gitteraufzug und Wappenschildern über den Türen. Soweit ich es verstanden habe, ist die Praxis von seiner Wohnung abgetrennt worden, einer Wohnung mit fünf oder sechs Zimmern mit Fenstern zur Universität und zum Park, wenn ich es richtig vermute. Es gibt auch eine Ehefrau, auf jeden Fall eine Frau, ich habe sie einmal kurz zu Gesicht bekommen, aber viel mehr weiß ich nicht über ihn. Es geht ja auch nicht gerade um Lorenz Piirs, wenn wir uns treffen. Vielleicht interessiert es Sie ja auch gar nicht weiter, dass ich versuche, ihn näher zu beschreiben.
Jedenfalls hat er ein Ledersofa, genau wie in den klassischen Analysezimmern. Die Wände sind dunkelgrün mit vereinzelten Landschaftsgemälden. Gainsborough oder Reynolds, nehme ich an. Das Licht ist gedämpft, nur eine braungelbe Lampe über dem Schreibtisch, das Tageslicht wird durch die schweren Damastvorhänge vor den hohen Fenstern ausgesperrt. Allein in diesem Zimmer zu sein ist schon ein besonderes Erlebnis, ich schätze es sehr, die Atmosphäre hier drinnen hat etwas tief Beruhigendes an sich, vielleicht handelt es sich nicht wirklich um Zeitlosigkeit, aber auf jeden Fall handelt es sich hier nicht um unsere Zeit.
»Interessant«, sagte er, als ich zum Ende gekommen war. »Sehr interessant. Warum sind Sie nicht früher gekommen?«
Ich zog mich auf die Ellbogen hoch. Trank etwas stilles Wasser aus dem Glas, das immer auf dem Tisch neben dem Sofa steht. Ich hatte wohl so dreißig Minuten ununterbrochen berichtet ... Ich habe den Eindruck, dass man schneller einen trockenen Mund bekommt, wenn man im Liegen spricht, als wenn man steht oder sitzt, ich weiß nicht, ob dieser Eindruck mit der Realität übereinstimmt.
Er betrachtete mich über den Rand seiner graugetönten Brille hinweg, und ich sah, dass er wirklich meinte, was er sagte. Es gab eine Falte auf seiner Stirn, und er nickte irgendwie nachdenklich, während er seinen Füllfederhalter zwischen den Fingern hin und her wandern ließ.
»Zweifellos eine interessante Geschichte«, wiederholte er. »Es wundert mich nur, dass Sie das so lange ausgehalten haben.«
»Kennen Sie ähnliche Fälle?«,
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