Barins Dreieck
war kurz und vielleicht nicht ganz eindeutig (wobei der exakte Wortlaut aber nie zur Presse durchgesickert war), doch als man am folgenden Abend Reins Motorboot verlassen in einer Bucht gut zehn Kilometer weiter nördlich an der Küste fand, wo es gegen die Felsen schlug, begann man, den Zusammenhang zu begreifen. Die Polizei wurde informiert, aber es dauerte, wie gesagt, noch eine ganze Woche, bevor Mariam Kadhar wirklich glaubte, dass ihr berühmter Ehemann sich tatsächlich in dieser Nacht oder ganz frühmorgens aufs Meer hinaus begeben und sich dann das Leben genommen hatte, indem er sich dem Schoß des Meeres anvertraute. Der einzige Passus des Briefs, der durchgesickert war, lautete: »Ich nehme unsere alte Bronzedame mit, so werde ich nicht wieder auftauchen und erspare euch die Peinlichkeit ...«
Die alte Bronzeskulptur, ein Geschütz von gut fünfzehn Kilo, wurde wirklich vermisst, und es wurde deshalb angenommen, dass Rein sie sich in irgendeiner Form an seinen Körper gebunden hatte, bevor er über Bord sprang.
Und ausgehend von der Position des zurückgelassenen Boots, den herrschenden Wind- und Strömungsverhältnissen sowie dem Gewicht von Rein plus der Bronzeskulptur wurden später gewisse Berechnungen angestellt, um herauszufinden, wo wohl die leiblichen Überreste von Germund Rein ihren letztendlichen Ruheplatz gefunden hatten. Die Fehlermarge war natürlich groß, und die Prognosen, ob es jemals gelingen würde, ihn herauszuziehen, waren bereits von Anfang an den Versuchen vergleichbar, das versunkene Atlantis ausfindig zu machen. Folglich hatte man es auch gar nicht erst groß probiert – zumindest nicht mehr, als nötig ist, um ein wenig guten Willen zu zeigen.
Was die Gründe für Reins Selbstmord betrifft, so gab es unterschiedliche Reaktionen und Theorien, aber es war im Prinzip nur die allgemeine Bandbreite von Vermutungen, die in so einem Fall zu Tage tritt.
Warum hatte er es getan? Hätte man es wissen müssen? Hatte er keine Signale ausgesandt? Und so weiter.
Aber was wissen wir eigentlich über das Innerste unserer Nächsten und über ihre tiefsten Beweggründe? So fasste ein gewisser Bejman die allgemeine Meinung in der »Allgemejne« zusammen. Rein gar nichts.
Das war alles. Kerr hatte auch so einige Fragen, vor allem wollte er natürlich wissen, wozu ich diese Informationen brauchte. Da ich es kaum selbst wusste, dachte ich gar nicht daran, ihm den Gefallen zu tun und ihm schriftlich Rapport zu erstatten. Stattdessen stopfte ich die Bögen wieder in den Umschlag, erhob mich, stellte mich ans Fenster und betrachtete wieder einmal den abnehmenden Verkehr vor Ferdinand Bol. Das Gefühl einer ungemeinen Leere und Nichtigkeit hing für einige Minuten über mir, ich erinnere mich, dass ich eine Zigarette rauchte und darüber nachdachte, ob es eigentlich möglich wäre, sich umzubringen, wenn man einfach mit dem Kopf voran auf die Straße hinuntersprang. Ich nahm es nicht an. Vermutlich würde ich mir nur eine Art deprimierender, bleibender Invalidität zuziehen, mit der sicher nicht groß Staat zu machen war.
Als diese Gefühle abebbten, wurden sie ersetzt von einer kleinen Welle von Handlungsbereitschaft, und ich beschloss, vorsichtig mit Mariam Kadhar Kontakt aufzunehmen. Wieweit das mehr Staat machen sollte, das stand natürlich in den Sternen, aber gerade dann, wenn wir solche Beschlüsse fassen, deren Konsequenzen wir gar nicht überschauen können, spüren wir die Tatkraft ein wenig in unseren sklerotischen Adern blubbern.
Ich weiß, ich zitiere, weiß aber nicht mehr, wen.
A ls wir in Graues, unserer Stadt in den Bergen, ankamen, war es frühmorgens, und wir waren die ganze Nacht durchgefahren. Genauer gesagt war ich die ganze Nacht gefahren, während Ewa auf dem Rücksitz gelegen und unter unserer blaukarierten Decke aus Biarritz geschlafen hatte. Zumindest die letzten Stunden, während ich Poulenc und Satie im Autoradio hörte und zuschaute, wie die Dunkelheit sich aus den Tälern hob.
Es war ein schöner Morgen, zweifellos. Das Haus, die engen Gassen, die Berge und die ganze Welt lagen frisch gewaschen und unschuldig da, und ich parkte auf dem geschlossenen, unregelmäßig gepflasterten Markt. Stieg aus dem Wagen und spülte mir die Müdigkeit unter der leise plätschernden Fontäne aus dem Gesicht. Die Sonne stieg gerade im Osten über den Gebirgskamm und warf ein sanftes Licht auf die schlafenden Fassaden. Ich stand da und schaute dem Schauspiel mit
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