Barins Dreieck
gucken.
»Ich weiß es nicht. Mir ist nur, als gäbe es eine Linie in seiner Autorenschaft, die auf etwas hindeutet ... aber es ist nichts mehr daraus geworden.«
»Doch, natürlich hat er geschrieben.«
»Ja, und?«
»Wir wissen nicht, wo es ist.«
»Wie meinen Sie das?«
Sie zögerte erneut. Zog ein paar Mal hastig an der Zigarette. Mir kam der Gedanke, dass ein Mensch, der auf diese Art kettenraucht, natürlich keine besonders guten Nerven haben kann. Vielleicht strengte unser Gespräch sie sogar noch mehr an als mich. Das war ein Gedanke, der mir das vage Gefühl vermittelte, dass ich noch die Kontrolle hatte. Aber es war vage und flüchtig.
»Er saß den ganzen Herbst an einem Manuskript, bis zu ... ja, bis zu seinem Tod. Aber es ist nicht mehr da. Vielleicht hat er es vernichtet. Verbrannt oder ... es mit sich genommen.«
»Wovon handelte es?«
Sie seufzte.
»Ich weiß es nicht. Er war sehr verschwiegen, das war er immer, aber ich glaube, er war zufrieden damit, denn es hat ihn sehr beschäftigt. Das konnte man ihm ansehen.«
»Er war ein großer Schriftsteller.«
Sie lachte kurz auf.
»Ich weiß.«
Ich trank ein wenig Portwein. Wünschte, ich wäre in einer Position, um weitere Fragen stellen zu können. Warum er sich das Leben genommen hatte. Und warum sie sich weigerte, das zu akzeptieren.
Ob sie möglicherweise einen Geliebten hatte, der G hieß.
Natürlich war das ausgeschlossen. Stattdessen unterhielten wir uns noch eine Weile über einige seiner Bücher, vor allem über die letzten beiden, die ich während einer intensiven Acht-Monats-Periode vor ein paar Jahren übersetzt und immer noch in Erinnerung hatte, und wir beide drückten unser Bedauern darüber aus, dass er sein letztes Buch mit in den Tod genommen hatte. Nach ungefähr zwanzig Minuten wurde offensichtlich, dass meine Anwesenheit sie anstrengte, und mir war klar, dass es an der Zeit war, sie zu verlassen.
In der Tür hielt sie mich noch kurz auf.
»Ich verstehe trotzdem immer noch nicht, warum Sie mich treffen wollten. War da wirklich sonst nichts?«
»Ich habe Sie gestört.«
»Nein, ganz und gar nicht. Ich habe nur den Eindruck ...«
»Was für einen Eindruck?«
»Dass Sie etwas viel Wichtigeres auf dem Herzen haben.«
Ich versuchte zu lächeln.
»Tut mir Leid. Das habe ich ganz und gar nicht. Ich bin nur ein großer Bewunderer der Werke Ihres Mannes, das ist alles.«
Sie schaute zu mir hoch, sicher war sie fünfundzwanzig Zentimeter kleiner als ich, und als wir ziemlich dicht beieinander in der Türöffnung standen, wusste ich plötzlich, was für ein Gefühl es wäre, ihren Kopf an meine Brust zu drücken. Sie hielt meinem Blick eine Sekunde länger als nötig stand, dann machte sie einen halben Schritt zurück, und wir nahmen Abschied voneinander, ohne uns zu berühren.
Als ich auf die Straße trat, lag Schnee in der Luft. Große, schwere Flocken segelten langsam zwischen den dunklen Häusern hinunter, und ich erinnere mich, dass ich versuchte, ein paar mit meinen ausgestreckten Händen einzufangen, aber sie schienen nicht einmal die Nähe meiner Haut ertragen zu können, und eine Berührung schon gar nicht.
Mein Kopf war natürlich voll von Mariam Kadhar, das wäre er sicher bei jedem Wetter gewesen, aber es war auch noch etwas an diesen Schneeflocken, das mir einiges über sie zu sagen schien. Weit entfernt von Worten, wie ich mir einbilde, hinter denen sich so viele Bezüge verbergen.
Ja, in dem großen, frischen Schweigen außerhalb von Sprache und Zeichen und anderem Tand. Um mit Rein zu sprechen.
Wenn ich mich recht erinnere, war es erst zwei Tage nach meinem Besuch bei Mariam Kadhar, dass ich merkte, dass mich jemand überwachte.
Das erste Mal kam das Gefühl an einem Morgen, als ich außergewöhnlich früh auf den Beinen war – ich machte einen Spaziergang zum Waterloo Markt –, und der Eindruck wurde von meinem Gehirn registriert, ohne dass es mir bewusst war. Erst am Nachmittag, als mein Beschatter mir folgte und sich an einen der hinteren Tische in der Präsenzbibliothek setzte, in der ich mich aufhielt, ging mir ein Licht auf, und ich erkannte, dass es die gleiche Person war, die draußen vor einem Tabakladen in der Utrechtstraat gewartet hatte, während ich Zigaretten kaufte. Ein langer, etwas gebeugter Mann ungefähr in meinem Alter, mit dunklem, schütterem Haar und braun getönter Brille. In der Bibliothek hatte er seinen Mantel über den Stuhlrücken gehängt, und als er mir
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