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Barins Dreieck

Barins Dreieck

Titel: Barins Dreieck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hakan Nesser
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das Manuskript einfach an Kerr und Amundsen zurückzuschicken und sie aufzufordern, es doch zu verbrennen. Oder sich jemand anderen zu suchen, einen weniger sorgsamen Übersetzer.
    Das andere Gefühl ist schwerer zu beschreiben. Etwas in Richtung Angst vielleicht, und mir wurde schnell bewusst, dass meine Empörung und meine Wut wohl in erster Linie eine Abwehrmaßnahme gegen diese ziemlich bedrohliche Empfindung waren. Eines dieser automatischen, willkürlichen Seelenpflaster.
    Wie der Dichter in die Asche der Erde?
    Es musste zehn Jahre her sein, seit er das geschrieben hatte. Fünf, seit ich es übersetzt hatte. Was zum Teufel hatte das zu bedeuten? Ich versuchte mich genau daran zu erinnern, wie die Novelle endete, schaffte es aber nicht.
    Ich trat ans Fenster. Löschte das Licht und betrachtete die Wirklichkeit dort draußen. Im Augenblick bestand sie aus einem bleigrauen Himmel, einer dunklen Häuserfassade mit einer Reihe erleuchteter Schaufenster im Erdgeschoss – Muskens Slaapcentruum, Hava Nagila Shoarma Grillroom, Albert Hijn. Ein paar Radfahrer. Parkende Autos. Das Geräusch einer Straßenbahn, die vorbeiratterte. Autos, die auftauchten und verschwanden, und Straßenlaternen, die im Wind schaukelten.
    Gegenstände, die stehen blieben, und Gegenstände, die sich auflösten. Ich erinnere mich an meine Gedanken, und ich erinnere mich, dass es schon damals kein Wort für diese Gedanken gab.
    Ich glaube, niemals war meine Verachtung der Sprache gegenüber größer als damals, als ich an diesem Abend am Fenster stand, Reins Kursivierungen im Hinterkopf rumorend. Nach einer Weile ging ich zurück zum Sessel, legte mir Beatrice auf den Schoß und saß eine ziemlich lange Zeit mit ihr im Dunkeln.
    Dann ging ich hinaus. Trank mich zielstrebig in einigen der Cafés in der nächsten Umgebung um Sinn und Verstand. Meine Unruhe lag die ganze Zeit wie ein irritierendes Flimmern unter der Haut, ein unerreichbares Jucken, und erst lange Zeit später, viel später in dieser Nacht, als ich hinauf schwankte und mich in die Toilette erbrach, da ließ es etwas nach.
     
    Am folgenden Tag schien die Sonne. Statt in die Bibliothek zu gehen, marschierte ich weiter bis zum Vondelpark, in dem ich dann herumlief, solange das Licht es ermöglichte. Fasste einen Entschluss, die jüngste Zukunft betreffend, und am Abend rief ich Kerr an.
    »Wie läuft es?«, wollte er aufgeräumt wissen, aber nicht ohne einen Hauch von Unruhe in der Stimme.
    »Ausgezeichnet«, erklärte ich. »Ich brauche nur ein paar Informationen.«
    »Ja?«
    »Wie heißt Reins Ehefrau?«
    »Mariam. Mariam Kadhar. Warum?«
    Ich antwortete nicht.
    »Könntet ihr mir einen Bericht über seinen Tod schicken?«
    »Über wessen? Reins?«
    »Natürlich. Ich brauche eine Zusammenfassung, will das nicht von hier aus anfordern. Das könnte eine gewisse Aufmerksamkeit hervorrufen.«
    »Ich verstehe.«
    Ich konnte hören, dass er gerade das nicht tat.
    »Ob ihr die Zeitungen einmal sorgfältig durchgehen könnten?«
    »Hat das etwas mit dem Manuskript zu tun?«
    »Das ist nicht ausgeschlossen.«
    »Ist ja verrückt.«
    »So schnell wie möglich, ja?«
    »Ja, natürlich.«
    Wir beendeten das Gespräch. Ich verließ die Telefonzelle, und ich wusste nur zu gut, dass ich gegen meinen Willen Kerrs und Amundsens Enthusiasmus für das Rein-Projekt geschürt hatte. Vor meinem inneren Auge konnte ich sehen, wie sie sich die Hände rieben. Und warum auch nicht? Ein Verlag, der mit einem posthum erscheinenden Buch eines der großen Neomystiker herauskommt, ein Buch, das außerdem ein neues Licht auf seinen Tod wirft. Was konnte man eigentlich noch mehr erwarten? Wenn man so einen Leckerbissen nicht zu verkaufen verstand, dann war es vermutlich das Beste, den Job ganz an den Nagel zu hängen.
    Ich selbst spürte nicht sehr viel Lust, das harte Brot in der Bibliothek wieder in Angriff zu nehmen, obwohl ich doch wusste, dass ich im Text weiterkommen musste. Es verlockte mich und stieß mich ab, beides zugleich, aber vielleicht ging es auch in erster Linie darum, diese mir widerstrebende Neugier zu bekämpfen, die ich bezüglich der Umstände von Reins Tod langsam spürte. Jetzt fiel mir ein, dass ich hätte fragen sollen, ob es auch einen G in Reins Nähe gab, solange ich Kerr noch an der Leitung gehabt hatte, beschloss dann aber, das auf eine spätere Gelegenheit zu verschieben. Alles in Betracht gezogen, war mein vermeintlicher Verdacht zu diesem Zeitpunkt nichts anderes als ein

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