Barins Dreieck
auffiel, blätterte er in einem Buch, das er wohl mehr oder weniger zufällig aus dem Regal genommen hatte. Ich konnte mich natürlich nicht umdrehen, um ihn zu beobachten, aber als ich etwas später mit meiner Tasche unter dem Arm zur Toilette ging, passierte ich ihn nur mit einem Meter Abstand und konnte sein Aussehen ziemlich genau studieren. So eingehend zumindest, dass ich ihn sicher wiedererkennen würde, sollte er noch einmal auftauchen.
Noch war ich natürlich nicht hundertprozentig sicher, dass es sich wirklich so verhielt, wie ich vermutete – dass er mich tatsächlich beschattete. Aber das wurde ich noch am gleichen Abend. Als ich für den Tag meine Arbeit beendet hatte, ging ich zu Maertens’ Büro in der Prohaskaplein, da es ein Donnerstag war, und nach nur wenigen hundert Metern hatte ich das Gefühl, als würde sich jemand in meinen Fußspuren bewegen. Ich steigerte die Geschwindigkeit, machte einen Umweg über Megse Plein und Verdammspark, lief ein paar Mal um die gleichen Häuserblocks auf der nördlichen Seite des Parks und schlüpfte schließlich in eine enge Gasse, in der ich hinter ein paar Fahrrädern niedergekauert wartete. Nach nur zehn Sekunden kam er auf der Straße an mir vorbei.
Ich blieb noch ein paar Minuten in dem Hof, bevor ich die beiden Blocks zu Maertens’ Büro entlangging. Insgesamt kam mir das Ganze fast bizarr vor. Wer es auch war, der mich da beschattete und meine Tätigkeiten beobachtete, und welches Ziel auch immer dahinter liegen mochte, so hinterließ es insgesamt einen Eindruck von Amateurhaftigkeit. Außerdem konnte ich auch mit viel Mühe keinen Sinn darin erkennen. Am wahrscheinlichsten schien mir, dass es etwas mit meinem Besuch bei Mariam Kadhar zu tun hatte. Oder dass etwas über Reins Manuskript an die Öffentlichkeit gesickert war.
Irgendwelche anderen Alternativen fielen mir in diesem Stadium nicht ein.
Als ich bei Maertens ins Büro trat, kam mir der Gedanke, dass die einzige Erklärung für die Tollpatschigkeit meines Schattens nur sein konnte, dass er sich absichtlich so verhielt. Der Grund war, dass ich merken sollte, dass er mich beschattete, aber ich hatte keine Zeit, darüber nachzudenken, welcher Plan dahinter stecken konnte.
Zumindest nicht im Augenblick. Zum ersten Mal, seit ich ihn besuchte, hatte Maertens nämlich etwas zu präsentieren. Er betonte zwar, dass es sich sehr wohl um eine Sackgasse handeln könnte, und empfahl mir, nicht allzu große Hoffnungen zu hegen.
Dann schob er einen kleinen braunen Umschlag über den Schreibtisch. Ich öffnete ihn und las eine Adresse, die ich nicht kannte.
»Einer der Vororte«, erklärte Maertens. »Mit dem Zug sind Sie in einer halben Stunde dort.«
»Das heißt, Sie haben sie da gesehen?«
Er vollführte sein übliches Schulterzucken.
»Nicht ich persönlich. Einer meiner Mitarbeiter.«
»Wann?«
»Gestern. Er sah sie in eines der Hochhäuser gehen, aber sie nahm den Fahrstuhl, und er konnte nicht ausmachen, in welchem Stockwerk sie ausstieg. Er hinkt ein wenig und hat Probleme mit Treppen ... ja, wir haben den Eingang natürlich heute überwacht, aber sie hat sich nicht blicken lassen.«
»Sind Sie sicher, dass sie es ist?«
»Oh nein«, lachte er. »Das Muttermal stimmt, aber wer kann sagen, wie eine Frau nach drei Jahren aussieht?«
Ich schob den Umschlag in die Brusttasche und verließ ihn. Als ich auf die Straße trat, schlug die Uhr der Keymerkyrkan gerade neun, und mir war klar, dass ich meinen Besuch in den Vororten besser auf den folgenden Tag verschieben sollte.
A m nächsten Tag aßen wir in unserem Hotel zu Mittag, und während wir anschließend Kaffee tranken und eine Zigarette rauchten, erklärte sie mir, dass sie am folgenden Tag zu Mauritz Winckler fahren wollte.
Was auch geschah. Ich stand auf dem Balkon und sah sie mit dem Wagen die gewundene Straße hinauffahren, die über den Berg ins Tal und zu den Orten auf der anderen Seite führte. Ich konnte ihre Fahrt bis zu dem Pass zwischen den zwei dunklen Massiven verfolgen, wo sich der weiße Audi plötzlich auflöste und unversehens wie eine Schneeflocke im Wasser verschwand.
Der Tag war im gleichen Ton gestimmt; trübe und mit bedrohlichen Wolkenformationen, die über den Gipfeln hingen. Gerade aus diesem Grund entschloss ich mich zu einer Bergwanderung. Ich hatte keine Lust, mich zwischen den Menschen und Häusern zu bewegen, hatte eigentlich keine Lust, irgendjemanden außer meiner Ehefrau zu sehen, aber ich
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