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Barins Dreieck

Barins Dreieck

Titel: Barins Dreieck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hakan Nesser
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gelben Plastikbecher kalt wurde, übersetzte ich folgenden Absatz:

    Dokumentation. Während der flüchtigen Augenblicke, wenn die Pein nachlässt, beginnt R an die Dokumentation zu denken. Wenn alles vorbei ist, darf die Wunde sich nicht einfach schließen wie eine Fußspur im Wasser, durch die Diktatur des Vergessens und des flüchtigen Jetzt. Eines Vormittags, als sie auf dem Markt Gemüse kauft, immer dieses Gemüse, das nicht mehr als einen Tag alt sein darf, ihr Memento mori, da durchsucht er ihre Sachen, sie weiß, dass er das niemals tun würde, und hat sich gar keine Mühe gegeben, etwas zu verstecken. Er findet Briefe, vier Briefe, drei sind schon deutlich genug, der vierte eine Verschwörung. Sie haben sich verschworen, tatsächlich, er spürt, wie ihm die Schweißtropfen auf die Stirn treten, als ihm das klar wird, sie haben sich gegen sein Leben verschworen. R geht hinaus an den Strand, füllt die Lunge mit reiner, klarer Meeresluft, geht weiter ins Wasser hinaus, bis zur Taille geht er, bleibt dort in den ruhigen Wellen stehen und sieht sein Leben ebenso flüchtig und ebenso vergeblich kämpfend wie die schleimigen blauen Quallen, die zu weit ans Land treiben und es nie wieder schaffen, zurück ins Meer zu gelangen. Er kehrt ins Haus zurück, sie ist immer noch bei dem Gemüse auf dem Markt, das dauert seine Zeit, vielleicht bumst sie ja auch mit G, er schiebt die Briefe in eine Tasche, fährt in die Stadt und kopiert sie, sie ist immer noch fort, als er zurückkommt. R zögert. Kopien für die Nachwelt? Er wählt den halben Weg und schiebt zwei zwischen die Unterhosen im Schrank, legt zwei Originale plus zwei Kopien in eine Plastiktüte, wickelt diese in ein Wachstuch, sehr bewusst und sehr umständlich widmet er sich diesen Absicherungen für die Nachwelt. Er geht hinaus in den Schuppen, holt einen Spaten, schaut sich um und überlegt. Mitten auf dem weichen, hügeligen Rasen steht diese monströse hässliche Sonnenuhr, und in der lockeren Erde auf ihrer Nordseite vergräbt er seinen Schatz und sein Testament. Trinkt mehrere Gläser Whisky, M immer noch nicht zurück, sie bumst mit G, jetzt weiß er das, zwischen breit gespreizten Schenkeln nimmt sie Gs trägen Samen entgegen, zwei verschwitzte Tiere in einem Hotelzimmer in der Stadt. Im Belvedere vermutlich oder im Kraus in der Nachbarstadt ein Stück weiter, denn sie sind ja so verdammt vorsichtig, M und G, R trinkt jetzt noch mehr Whisky, und er sieht sie trotzdem vor sich. Wie sie bumsen und dumm über sein Leben schwätzen, daran gibt es jetzt gar keinen Zweifel mehr, er setzt sich hin, um zu schreiben, seine Abwehr werden wie immer diese Worte sein, diese dünnen, blutleeren Abstraktionen, um mit ihnen die verschwitzten Mörderkörper zu fangen, in einem unerbittlich wachsenden Kokon von Worten um das stinkende Fleisch. R hat Angst, und R weiß, aber R schreibt.

    Seite einhundertzweiundzwanzig bis einhundertdreiundzwanzig. An diesem Abend brach ich endlich Darkes Regel. Ohne mich um eine Übersetzung zu kümmern, las ich einfach den Rest des Manuskripts.
    Ja, im Schein der schweren Stehlampe aus Gusseisen und mit Beatrice auf meinen Füßen las ich die letzten vierzig Seiten von Germund Reins Autorenschaft. Die allerletzten Zeilen waren ein Zitat aus einem seiner ersten Bücher, der Legende von der Wahrheit:

    Wenn wir auch eines Tages unser Leben nicht mehr verstehen, so müssen wir trotzdem weitermachen, als wären wir ein Buch oder ein Film. Es gibt keine anderen Anweisungen.

    Ich lege die Papiere hin. Es ist ein paar Minuten nach elf, und ich spüre, dass mein Körper gespannt wie eine Stahlfeder ist. Ich stehe auf und versuche mich zu entspannen, wandere eine Weile in der Wohnung hin und her und stelle mich schließlich mit einer Zigarette ans Fenster. Lösche die Lampe und betrachte wie an so vielen Abenden die spärlichen Bewegungen draußen in der Dunkelheit. Die Gedanken türmen sich in mir auf, gleiten durch- und ineinander und drängen die Worte auf beruhigende Weise ab. Dennoch ist mir natürlich klar, dass ich etwas machen muss. Ich bin bis zu einem bestimmten Punkt gekommen, und alle Verteidigungsanlagen sind eingerissen. Ich kann nicht verstehen, warum er es mir überlassen hat, aber ab jetzt ist es zu spät, sich freizukaufen. Es ist nicht an Horatio, Zweifel zu hegen.
    Nach einer Weile lässt die Anspannung nach. Ich gehe hinunter ins Café, trinke an diesem Abend aber nur ein paar Bier, und mit klarem Kopf beschließe ich,

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