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Barins Dreieck

Barins Dreieck

Titel: Barins Dreieck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hakan Nesser
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Freitagnachmittag war, hatte ich bei den meisten Erfolg gehabt, genauer gesagt bei sechsundvierzig, ich hatte zwei Exemplare von »Wachet auf« verkauft und nicht den geringsten Schimmer von Ewa gesehen.
    Ich warf die restlichen Exemplare der Zeitschrift in den Müllschlucker und ging zurück zu dem Tunnel, der zum Bahnhof führte. Die Dämmerung senkte sich, das Gefühl der Entfremdung begann mich ernsthaft zu überfallen, und während ich auf den Zug wartete, trank ich drei Gläser Whisky in der Bar. Versuchte auch ein Gespräch mit dem Barkeeper anzufangen, einem fast hünenhaften Bodybuildertypen mit Tätowierungen in der Länge wie Breite, aber er brummte nur abweisend und hob erst gar nicht seinen Blick von dem Computerspiel, das vor ihm auf dem Tresen lag. Ich stellte fest, dass er ein wenig die Lippen bewegte, während er las.
    Wieder daheim in der Ferdinand Bolstraat, rief ich aus dem Café Maertens an, aber wie gesagt, es war Freitagabend, und ich bekam keine Antwort. Also musste ich bis Montag warten, um nach der Rechnung zu fragen und seine Dienste zu kündigen.
    Ich blieb den ganzen Abend beim Whisky. Ich erinnere mich, dass ich in einer Bar in der Nähe des Leidse Plein fast einen Streit mit einem rotwangigen Norweger anfing und auf dem Heimweg über ein Fahrrad auf dem Fußweg stolperte und mir ein paar deutliche Schürfwunden an den Knöcheln zuzog.
    Aber das eindeutig Schlimmste an diesem Abend war doch, dass ich es schaffte, die Liste zu verlieren, auf der ich sorgfältig alle Wohnungen notiert hatte, in die ich draußen in Wassingen hineingeschaut hatte, und wenn ich jetzt zurückblicke, so ist mir klar, dass das genau der Grund war, warum ich so lange zögerte, bevor ich meinen nächsten Besuch dort abstattete.
    Auf jeden Fall weiß ich, dass ich in diesem Stadium auf keinen Fall den Gedanken aufgegeben hatte, nach Ewa zu suchen. Meine offensichtliche Schwäche an diesem Nachmittag und Abend war nur eine höchst zufällige Resignation gegenüber dieser Aufgabe.
    Zufällig, und wie ich es sehe, in gewisser Weise verständlich.
     
    Am Montag rechnete ich also mit Maertens ab. Ich suchte ihn bereits vor meinem Weg in die Bibliothek auf. Es gab einen kleinen Disput, inwiefern die Wassingen-Spur als ein substanzielles Resultat gewertet werden konnte oder nicht, aber zum Schluss gab er doch klein bei, und wir einigten uns auf das niedrigere Honorar.
    Er wünschte mir nicht viel Glück, als wir uns mit Handschlag verabschiedeten, und ich begriff, dass er immer noch der Meinung war, dass es das Beste für mich wäre, wenn ich die ganze Sache vergessen und mich etwas Sinnvollerem widmen würde. Ich hatte schon einige kritische Anmerkungen hinsichtlich seines mangelnden Interesses und Engagements auf der Zunge, hielt sie aber zurück und verließ ihn ohne weiteren Kommentar.
    Während des ganzen Wochenendes, ja, seit die Wassingen-Spur zu Tage getreten war, war es mir mehr oder weniger gelungen, die Frage nach meinem Beobachter zu verdrängen, aber in dem Moment, als ich durch die Türen der Bibliothek trat, fiel er mir wieder ein. Er tauchte wie ein Irrlicht in meinem Bewusstsein auf, ohne Vorwarnung, und ich erinnere mich, dass ich das Gefühl hatte, ich könnte seine Anwesenheit im Lesesaal heraufbeschwören.
    Deshalb war es fast mit einem Gefühl der Enttäuschung verbunden, als ich feststellen musste, dass der Saal vollkommen leer war. Während des ganzen Nachmittags, an dem ich an Reins Manuskript weiterarbeitete, hatte ich nur eine gute halbe Stunde Gesellschaft, da flüsterten zwei Studenten über irgendeiner gemeinsamen Arbeit an einem Tisch ganz weit hinten.
    Von einem Verfolger sah ich nicht einmal den Schatten.
    Es verrinnt im Sand, dachte ich an diesem Montag bei mehreren Anlässen. Alles verrinnt im Sand, das ist üblich so in diesem verfluchten Leben.
    Und trotzdem wusste ich, dass dem nicht so war. Trotzdem wusste ich, dass alles früher oder später klein beigeben würde. Es war nur eine Frage der Zeit und der Fähigkeit, ein wenig Geduld und Ausdauer zu zeigen. Man muss nur die Zeichen sehen.
     
    Auch Reins Text war in den ersten Tagen dieser Woche nicht besonders aufregend. Wenn ich mich recht erinnere, so stieß ich erst am Donnerstag auf etwas, das mich von Neuem dazu zwang zu spekulieren. Nach vielen Seiten eines ziemlich unscharfen Rückblicks auf die Kindheit von irgendjemandem – höchstwahrscheinlich Rs eigene – öffnete sich plötzlich der Text, und während mein Tee in dem

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