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Barins Dreieck

Barins Dreieck

Titel: Barins Dreieck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hakan Nesser
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begreife nicht, was über mich kam, und glücklicherweise konnte ich mich noch bremsen. Offensichtlich habe ich immer noch genügend Selbsterhaltungstrieb. Walther würde mich keine Minute länger dulden, wenn ich anfing, aus der Schule zu plaudern.
     
    Ich war leicht beschwipst, als ich ins Bett ging, aber der Schlaf wollte sich dennoch nicht einstellen. Ich lag wach da, drehte und wendete mich in dem großen Doppelbett, und je mehr Zeit verstrich, umso mehr glitten meine Gedanken von Kristine zu Gisela.
    Von einer langgezogenen, abgeschlossenen Vergangenheit zu einem nahe bevorstehenden, kurzen morgigen Tag. Ja, ungefähr so.
    Sicher war es schon gegen vier Uhr, als ich einschlief. Ich erinnere mich, dass ich die Vögel singen hörte.

II

    DONNERSTAG, 24. APRIL

    L eisnerpark. K-berg.
    Ich parkte den Wagen und kurbelte die Seitenscheibe herunter. Zündete mir eine Zigarette an und blieb sitzen, während ich sie rauchte. Ließ den Gedanken ihren Lauf. Es war erst Viertel vor. Ich wollte nicht zu früh kommen.
    Über der Mauer und zwischen sich spreizenden Lärchen waren Teile des Hauses zu sehen. Der erste Stock mit Balkonen und Mansardendach. Dunkle, englische Ziegel. Hohe Fenster mit grünen Läden. Alles zusammen im tiefen Schatten des dichten Laubwerks des Parks.
    Zu beiden Seiten des schmalen Asphaltwegs verliefen Reitwege. Die Mauer entlang plätscherte ein Bach, auf einer Holzbrücke ein Stück entfernt saßen ein paar Saatkrähen auf einem kleineren Kadaver. Vielleicht einem Fuchsjungen.
    Wann verlassen junge Füchse den Bau?
    Ich hatte keine Ahnung.
    Die Bäume tropften noch von dem Regen, der gerade vorbeigezogen war, aber es war zu spüren, dass sich irgendwo da oben der blaue Himmel ausbreiten wollte. Keine anderen Häuser waren in der Nähe zu sehen. Keine Nachbarn. Nur die Villa Guarda. In majestätischer Einsamkeit. Eingepasst in das düstere, dunkle Grün des großen Parks.
    Oder war das nur meine eigene trübe Stimmung, die abfärbte?
    Während ich dasaß, versuchte ich zu erraten, wie viel man wohl im Jahr verdienen musste, um es sich leisten zu können, so zu wohnen.
    Ein paar Millionen? Reichte das?
    Und wenn man nun so viel Geld hatte, was trieb einen dann dazu, sich einen Ort wie diesen auszusuchen?
     
    Ich drückte die Klingel.
    Der Mann, der öffnete, war in den Fünfzigern. Eine zusammengesetzte Persönlichkeit zweifellos. Ein Drittel Butler, ein Drittel Gärtner, ein Drittel Schwergewichtsmeister, so ungefähr.
    »Doktor Borgmann.«
    Das war eine Feststellung, keine Frage. Er verbeugte sich, indem er sein Kinn zwei Millimeter senkte.
    »Ja.«
    »Bitte schön. Hier entlang.«
    Er ging den gefliesten Weg entlang vor. Ich registrierte, dass er links ein wenig hinkte. Vielleicht war er in seiner Jugend von einem Zug überfahren worden.
     
    Sie saß in einem Liegestuhl draußen auf der Terrasse, wo es der Sonne tatsächlich gelang, ein paar dünne Strahlen durch das dichte Laub hindurchzuzwängen. Sie hatte eine Decke über den Beinen, und als sie mich erblickte, erhob sie sich nur ein klein wenig, indem sie sich auf die Armlehnen stützte und den Oberkörper ein bisschen vorbeugte.
    Vor ihr stand ein ziemlich gewaltiges Frühstück, und plötzlich merkte ich, dass ich hungrig war. Ich war erst spät aufgewacht, hatte nicht mehr als ein Glas Saft und ein paar Vitaminkapseln runterbekommen. So hoffte ich, dass sie so redselig sein würde, dass es mir gelänge, ein paar Brote zu essen.
    »Willkommen, Doktor Borgmann. Danke, dass Sie gekommen sind.«
    Ich ließ mich auf dem anderen Liegestuhl nieder. Sie wandte sich dem Schwergewichtler zu.
    »Zandor, wir werden wahrscheinlich nachher bei Judith reinschauen. Gehst du zu ihr und machst sie fertig?«
    Er senkte sein Kinn und zog sich zurück.
    »Zandor«, stellte Gisela Enn ihn vor.
    Ich nickte.
     
    Eine Weile saßen wir einfach nur schweigend da, und langsam begann ich wieder, an allem zu zweifeln. Dann machte sie eine Geste über den Tisch hinweg und brach die Stille.
    »Bitte schön, Herr Doktor. Tee oder Kaffee?«
    »Kaffee bitte.«
    Sie goss aus der Thermoskanne ein.
    »Ich hoffe, Sie haben nichts dagegen, hier draußen zu sitzen. Ist es eigentlich üblich, dass Sie ... Hausbesuche machen?«
    »Es kommt vor.«
    Ehrlich gesagt war es noch nie vorgekommen. Zumindest nicht, was mich betraf.
    »Ich bin Ihnen dankbar, dass Sie sich die Mühe machen.«
    »Ich werde dafür bezahlt, Frau Enn.«
    Sie lächelte kurz. Ich glaube, das war das erste

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