Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Barins Dreieck

Barins Dreieck

Titel: Barins Dreieck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hakan Nesser
Vom Netzwerk:
kam zu dem Schluss, dass ich im Laufe der vergangenen Woche achtzehn oder neunzehn Klienten empfangen hatte. Außer Gisela gab es noch zwei Debüts.
    Trotzdem war sie die Einzige, die sich die ganze Zeit in meinen Kopf drängte.
     
    An der Abfahrt nach Kerran beschloss ich schnell, weiter auf der Autobahn zu fahren. Dieser Rosenkranz von Fahrzeugen schien mir plötzlich eine gewisse Sicherheit auszustrahlen, und ich empfand es als vermessen, dem gegenüber nicht meine Dankbarkeit zu zeigen.
    Kurz nach Mitternacht war ich also zu Hause, ohne in einen Unfall verwickelt worden zu sein. Ich trank einen Schluck Gin, den ich im Schrank fand und der dort schon seit mehreren Jahren gestanden haben musste. Dann schlief ich in einer Wolke aus Gleichgültigkeit ein. Träumte weder von Katzen noch von Zähnen.

    MITTWOCH, 23. APRIL

    W ie beim letzten Mal kam sie zu spät. Zunächst machte ich mir Sorgen, dass sie mit Vassilis Rejmer, dem Schulhausmeister, zusammenstoßen könnte, aber dann rief er an und teilte mit, dass er eine Mittelohrentzündung habe, und bat darum, den Termin zu verschieben.
    An diesem Tag hatte ich nach Rejmer keine weiteren Klienten mehr. Wenn ich unserer Fünfzehnminutenregel gefolgt wäre, hätte ich also die Praxis schließen und nach Hause gehen können.
    Aber das tat ich nicht.
    Ich wartete. Ich beschloss für mich selbst, mindestens eine Stunde zu warten. Saß da und überlegte, was ich am folgenden Tag unternehmen sollte, es war Walthers Diensttag, mein freier ... im Prinzip arbeiten wir gleich viel, Walther und ich. Wir teilen uns nie einen Klienten, aber wir versuchen, darauf zu achten, dass wir ungefähr gleich viele haben. Unsere Einkünfte werden so eingeteilt, dass ich fünfunddreißig Prozent bekomme, Walther fünfundsechzig. Zu Anfang hatten wir 30:70, und in einem Jahr wollen wir zu den letztendlichen 40:60 übergehen. Das klingt vielleicht etwas ungerecht für den nicht Eingeweihten, aber man muss sich darüber im Klaren sein, dass es Walther ist, der Doktor Borgmann ist, nicht ich. Schon heute verdiene ich übrigens doppelt so viel, wie ich in Rodins verfluchtem Labor gekriegt habe.
    Ich blätterte in der letzten Ausgabe der »Psychiatrischen Zeitschrift«. Es war eine Sondernummer zum Thema Selbstmord. Da war eine ganze Menge dran, aber insgesamt sah ich es nicht als besonders unterhaltsame Lektüre an.
     
    Ich hatte gerade angefangen, Palmen zu malen, als sie kam. Fast fünfzig Minuten verspätet.
    Ich half ihr wieder aus dem Mantel. Ich glaube, es war der gleiche. Das Parfüm dagegen war ein anderes. Aber zweifellos genauso teuer.
    »Entschuldigen Sie, dass ich zu spät komme. Ich war in einen Verkehrsunfall verwickelt.«
    »Etwas Ernstes?«
    »Nein, nein. Ein Radfahrer ist mir bei Rot hinten draufgefahren. Er wurde nur leicht verletzt, aber wir mussten trotzdem die Polizei rufen.«
    »Ich verstehe.«
    Sie nahm auf dem Sofa Platz, ohne dass ich sie darum bitten musste. Ich holte die Decke und setzte mich hinter den Schreibtisch.
    »Sind Sie so gut und fahren da fort, wo Sie am Samstag aufgehört haben, Frau Enn.«
    Sie erwiderte nichts. Schob die Decke zurecht und zog sie bis zum Kinn hoch, sonst nichts.
    Nach ein paar Minuten erlaubte ich mir, das Wort zu ergreifen: »Nehmen Sie sich Zeit. Ich sitze hier und warte auf Sie.«
    »Irritiert es Sie nicht, dass ich nichts sage?«
    Ich zuckte zusammen. Vielleicht hatte ich schon die Hoffnung aufgegeben, oder aber ich hatte einfach an etwas ganz anderes gedacht.
    »Mich irritiert man nicht so schnell, Frau Enn.«
    »Hat es Sie nicht beunruhigt, was ich letztes Mal gesagt habe?«
    »Nein.«
    »Dass ich jemanden töten werde.«
    »Nein, das beunruhigt mich nicht.«
    »Sie fürchten nicht, dass ich es bereits getan haben könnte?«
    »Was getan?«
    »Ihn getötet.«
    »Nein, ich glaube nicht, dass Sie jemanden getötet haben, Frau Enn. Warum sollten Sie das tun?«
    Sie lachte. Drehte den Kopf und sah mich geradewegs an.
    »Glauben Sie nicht, dass ich einen Grund habe?«
    »Nein.«
    Sie verschob ihren Blick wieder auf die weiße Zimmerdecke.
    »Lieber Doktor Borgmann, ich versichere Ihnen, das ist noch lange nicht alles. Ohne jeden Zweifel habe ich das Recht, diesen Mann zu töten. Wenn Sie die Hintergründe kennen würden, dann würden Sie mir recht geben. Das brauchen wir gar nicht zu diskutieren.«
    »Und was sind die Hintergründe, Frau Enn?«
    Ich hoffte, dass sie sich nun bald entschließen würde, mit ihrer Erzählung

Weitere Kostenlose Bücher