Barins Dreieck
geheimen, zweifellos äußerst wichtigen Sache saß, die dem Verteidigungsministerium zugeordnet war. Walther und ich hatten einige Mühe darauf verwandt, es überzeugend klingen zu lassen, und soweit ich weiß, ist auch nie irgendein Zweifel daran geäußert worden.
Jetzt jedoch, zusammen mit Janos in einem Boot an diesem schönen Sonntag, spürte ich wie gesagt eine kleine Regung. Die Verlockung, alles auszuplaudern. Aber bei näherer Betrachtung war es die Sache doch nicht wert.
»Nein«, sagte ich und schob eine Hand ins Wasser. »Ich denke nicht. Es reicht so schon.«
Janos zündete seine Pfeife an.
»Ich dachte nur, es wäre nicht schlecht, klar Schiff zu machen.«
»Klar Schiff?«
»Ja, umzusatteln. Auf der Stelle etwas Neues anzufangen ... denn du glaubst doch wohl nicht, dass sie zurückkommt?«
»Nein.«
»Siehst du.«
Ich sagte, dass ich über die Sache nachdenken würde. Ungefähr gleichzeitig verschwand die Sonne hinter den Baumwipfeln oben auf dem Berggipfel, und plötzlich wurde es kühl.
Plötzlich tauchte auch noch Gisela Enn in meinem Kopf auf. Ich hatte ihr den ganzen Tag lang so gut wie keinen Gedanken geschenkt, aber jetzt sah ich ihre dünne Gestalt nur allzu deutlich vor mir. Gisela Everitt Enn.
Was wollte sie?
Eigentlich.
Aber ich schob sie beiseite.
»Das Leben ist schon ein verdammtes Durcheinander«, sagte Janos, und ich weiß nicht, warum er ausgerechnet diese Worte wählte, wo er doch ganz offenbar nichts zu sagen hatte.
Ein paar Stunden später war es eigentlich an der Zeit abzufahren. Ich musste einsehen, dass der Tag insgesamt genauso misslungen war, wie zu befürchten gewesen war, und als ich mich endlich von dem letzten klebrigen Zwilling befreit hatte und die Seitenscheibe hochkurbeln wollte, da steckte Lynn ihren Kopf zu mir herein.
»Sei vorsichtig, versprich mir das!«
Sie sprach leise und strich mit der Hand über meinen Unterarm.
»Ich habe von dir geträumt. Ich habe ... so eine Ahnung. Du weißt, dass ich manchmal ganz besonders empfänglich bin, besonders, wenn ich ein Kind kriege.«
Du meinst also die ganze Zeit, dachte ich, aber dann kam mir in den Sinn, dass sie tatsächlich Kristines zweite Fehlgeburt vorausgesagt hatte. Jedenfalls wurde es im Nachhinein so behauptet. Aber wer es nun behauptete, daran konnte ich mich nicht mehr erinnern, auf jeden Fall nicht, während ich im Auto saß und darauf wartete, losfahren zu können. Ich schaute zu ihr auf.
»Du willst damit sagen, dass du wusstest, dass sie mich verlassen wird?«
Sie zögerte einen Moment. Fuhr sich mit der Zunge über die Zähne auf diese Art, wie sie es seit ihrer Jugendzeit tut, was mich auf den Gedanken brachte, dass ich sie eigentlich viel besser kannte als Janos.
»Nein ... nein, ich wusste es nicht. Aber es ist andererseits auch keine Überraschung, für keinen von uns. Es tut mir Leid, Leon, aber es ist einfach so. Ich habe das Gefühl, dass dir etwas Schlimmes passieren wird. Ich habe geträumt, dass du die Zähne verlierst ... du weißt, was das bedeutet?«
»Tod?«
»Ja, und dann hattest du die Wohnung voller herrenloser Katzen.«
»Herrenlose Katzen? Was zum Teufel bedeutet das denn?«
»Ungefähr das Gleiche.«
»Wirklich?«
»Ja.«
Sie beugte sich durch das Fenster zu mir herein und strich mir ein wenig unbeholfen über die Wange. Sie ist verrückt, dachte ich. Vollkommen verrückt, das habe ich schon die ganze Zeit gewusst.
»Du bist vorsichtig, ja?«
»Ich werde mir Mühe geben.«
Sie ließ mich los, ich kurbelte die Scheibe hoch, und wir winkten einander zum Abschied.
Die Dämmerung hatte bereits eingesetzt. Als ich auf die Autobahn kam, fegte eine scheinbar unendliche Karawane von Scheinwerfern an mir vorbei. Bestimmt dauerte es an die zehn Minuten, bis es mir gelang, mich in eine Lücke zu quetschen. Mir wurde klar, dass die Rückfahrt bedeutend längere Zeit in Anspruch nehmen würde als der Drei-Stunden-Trip vom Vormittag.
Fünfmal machte ich das Autoradio an und wieder aus. Rauchte drei Zigaretten rasch hintereinander. Versuchte meine Gedanken mit diesem und jenem zu beschäftigen. Aber mein Konzentrationsvermögen schien gegen Null zu tendieren, und schließlich gab ich auf.
Öffnete das Visier und gab der Angst nach.
Lass keine Katzen in dein Haus!
Was sollte das? Wie konnte ich mich von etwas so Infantilem, Sinnlosem ängstigen lassen?
Und warum tauchte Gisela Enn so selbstverständlich in dem ganzen Wirrwarr auf? Ich rechnete nach und
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