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Barins Dreieck

Barins Dreieck

Titel: Barins Dreieck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hakan Nesser
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Detail im Schatten, aber vielleicht bildete ich mir das auch nur ein. Ich blieb sitzen, trank die letzten Kaffeetropfen und versuchte an nichts zu denken.
    Walther sagt das immer. Wenn du fürchtest, dich zu engagieren, dann konzentriere dich auf nichts. Das ist nicht leicht, aber es ist die Anstrengung selbst, um die es geht.
    Nichts.
     
    »Judith war nicht da, und es lag auch keine Nachricht neben dem Telefon in der Küche. Ich war mit so etwas sehr genau, und es kam nur selten vor, dass sie vergaß aufzuschreiben, wohin sie gegangen war. Ich nahm an, dass sie am Strand zum Schwimmen war, aber sie hatte um vier Uhr Reitstunde, deshalb wunderte es mich ein wenig. Wir hatten darüber am Morgen geredet, und es war nicht ihre Art, so etwas zu vergessen. . . Sie ritt sehr gern, fast genauso gern, wie sie schwamm. In der Küche stellte ich fest, dass sie nichts gegessen hatte, überhaupt gab es keinerlei Anzeichen dafür, dass sie überhaupt zu Hause gewesen war. Ihre Schultasche lag nicht im Flur wie sonst. Trotzdem nahm ich ein Handtuch und ging hinunter zu unserer üblichen Badestelle ... auch dort war sie nicht. Wissen Sie, wo sie war, Doktor Borgmann?«
    »Nein.«
    »Als ich zurück zum Haus kam, wartete Lisette schon. Sie war Judiths beste Freundin, sie wollten zusammen reiten ... Sie stand am Zaun, mit Reitkappe und Reitgerte, ihre roten Zöpfe wippten, und sie trampelte ungeduldig auf der Stelle. ›Wo ist Judith?‹, rief sie, sobald sie mich erblickte. ›Wir kommen zu spät!‹ ›Ich weiß es nicht‹, antwortete ich. ›Hast du sie nicht gesehen, Lisette?‹ Sie schüttelte den Kopf. ›Ich habe keine Lust, einsam und allein zu reiten.‹
    Genau das sagte sie, Doktor Borgmann. ›Keine Lust, einsam und allein zu reiten.‹ Sie müssen doch zugeben, dass das merkwürdig klingt. Auf jeden Fall sagte ich ihr, dass es das Beste wäre, wenn sie sich auf den Weg machte. Denn ich wusste ja nicht, wo Judith geblieben war. Haben Sie wirklich keine Ahnung, wo sie war, Herr Doktor?«
    Sie betrachtete mich äußerst aufmerksam. Ich gab keine Antwort.
    »Ich werde Ihnen gleich sagen, wo sie sich befand«, erklärte sie. »Möchte nur, dass Sie sich zunächst ein Bild machen können. Darüber, was es heißt, nichts zu wissen, meine ich ...«
    Es verging eine Minute. Vielleicht zwei. Leise Geräusche waren aus dem Haus zu vernehmen, die ich aber nicht identifizieren konnte.
    »Wir warteten fünfzehn Tage, mein Mann und ich«, sprach sie weiter. »Die ganze Zeit warteten wir, und dann haben wir es erfahren ... Wir haben erfahren, dass sie schon damals, bereits als ich Lisette davontrotten sah, die Reitgerte hinter sich herziehend, schon zwei Stunden dort verbracht hatte ...«
    »Wo, Frau Enn?«
    »In einer Wohnung in Weill. So einfach war das. Judith befand sich in einer dreckigen Zwei-Zimmer-Wohnung gleich hinter dem Bahnhof. Zusammen mit einem Mann. Dort blieb sie mehr als zwei Wochen lang.«
     
     
D ie Einrichtung zeugte von einem klinisch guten Geschmack. Und von Geld.
    Ein erneut einsetzender Regen hatte uns ins Haus vertrieben. Diese Art von Häusern hatte ich bisher nur in Krimiserien im Fernsehen gesehen, aber trotzdem gewusst, dass es sie tatsächlich auch in der Realität gab.
    Ungefähr ebenso wirklich war auch das Empfinden, sich über den schwarzen Marmorboden zu bewegen – bis hin zu der graulila Sofagruppe und dem Tisch, der mindestens aus Onyx war. Das Einzige, was störte, das war Zandor, der vorausging und mir wieder den Weg zeigte. Er passte nicht in das Bild, störte irgendwie die ganze Komposition, wie ein Riss oder ein Schmutzfleck, und ich hoffte, dass seine gewaltige Körpermasse bald in irgendeine Richtung verschwinden würde.
    Ich setzte mich mitten aufs Sofa.
    »Möchten Sie etwas trinken?«
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Gisela kommt gleich zurück.«
    Es störte mich auch, dass er ihren Vornamen benutzte. Obwohl es vielleicht ja noch ein weiteres Drittel in seinem Wesen gab, das ihn dazu berechtigte. Was wusste denn ich?
    Er ließ mich allein. Ich betrachtete das Bild über dem Kamin. Fragmente von Kalksteinsäulen irgendeiner ausgetrockneten Akropolis. Klassisch griechisch, blasses Ocker vor tiefblauem Meer.
    Oder vielleicht auch Himmel.
    Scherben, dachte ich.
    Viele tausend Jahre alte Dinge. Je älter, je toter, umso mehr Leben hauchen wir ihm ein. Der Gegenstand an sich gibt den Sinn und die Herausforderung.
    Kristine. Gisela.
    Judith?
    »Wir haben nie herausbekommen, wie er sie dazu

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