Barins Dreieck
Mal. Die Augen waren daran nicht beteiligt.
»Sind Sie sicher, dass Sie nicht wissen, worum es geht, Doktor Borgmann?«
Ich verstand ihre Frage nicht.
»Wie bitte?«
»Sie haben keine ... nicht die geringste Ahnung?«
»Absolut keine.«
Ich verstand nicht, worauf sie hinaus wollte. Bisher hatte sie nicht den Schatten einer Andeutung fallen lassen. Gegen meinen Willen spürte ich, wie eine gewisse Neugier in mir aufstieg. . . Ich schluckte und versuchte sie zu unterdrücken. Trank von meinem Kaffee. Er war immer noch sehr heiß. Ich biss von einem Brot ab. Lehnte mich zurück und wartete ab.
»Wie Sie sicher schon vermuten«, begann sie, »geht es nicht um mich selbst ... jedenfalls nicht in erster Linie, aber das werden Sie natürlich dann selbst entscheiden können. Ich fürchte, ich werde Ihnen eine große Verantwortung aufbürden, Doktor Borgmann. Sind Sie dafür bereit?«
»Natürlich«, antwortete ich. »Könnten Sie jetzt so freundlich sein und zur Sache kommen, Frau Enn?«
Sie räusperte sich.
»Wir sind ja alle beteiligt, nicht wahr? Wir ziehen selbst die Grenzen, wie viel Verantwortung wir übernehmen wollen ... da gibt es keine festgelegten Grenzen.«
Ich nickte.
»Natürlich ist es meine Tochter, die im Mittelpunkt steht ... und Sie können sich wirklich an nichts mehr erinnern? Sie haben keine Erkundigungen eingezogen?«
Erkundigungen?, dachte ich. Erkundigungen. Verdammt noch mal.
Natürlich hätte mir der Gedanke viel früher kommen müssen.
Dass es sich hier um eine alte Geschichte handelte.
Dass es nicht das erste Mal war, dass Walther Borgmann etwas mit Gisela Enn zu tun hatte.
Vorsicht! Ich spürte, wie sich eine Mischung aus Wut gegenüber Walther und Verärgerung über meine eigene Dummheit in mir ausbreitete. Warum hatte ich das nicht schon vorher erkannt? Warum hatte er mir das aufgebürdet? Was zum Teufel braute sich hier zusammen?
Du musst morgen Vormittag eine Klientin übernehmen ...?
Ich betrachtete sie von der Seite, während sie mit dem Feuerzeug herumhantierte, das offensichtlich nicht funktionieren wollte. Der Schal über den Schultern rutschte ein wenig herunter, entblößte den dünnen Hals und ein Profil, das zweifellos sehr schön war.
Aber gleichzeitig angespannt. Ich reichte ihr mein Feuerzeug. Sie nahm es entgegen, legte es dann aber mit der Zigarette zusammen auf den Tisch.
Verfluchter Walther!, dachte ich wieder.
»Nein, ich habe keine Erkundigungen eingezogen«, erklärte ich. »Warum hätte ich das tun sollen? Was ist es, woran ich mich erinnern soll? Ich gehe davon aus, dass Sie mit offenen Karten spielen, Frau Enn, sonst können wir unser Gespräch an dieser Stelle gleich beenden.«
Sie erwiderte nichts, sah aber auch nicht besonders überrascht aus. Worum es auch immer ging – eine größere Rolle schien Walther nicht gespielt zu haben. Sie akzeptierte offenbar, dass ich mich an nichts erinnerte.
Vielleicht war es ja auch so, kam mir in den Sinn.
Dass Walther sich an nichts erinnerte. Dass er diese Frau, die hier auf der anderen Seite des Tisches saß und krampfhaft ihre Geschichte zurückhielt, ganz einfach vergessen hatte.
Ich entschied mich für diese Version. Aber wie dem auch war, es hatte sowieso kaum eine Bedeutung. Ich hatte keine Wahl. Musste das Spiel weiter mitspielen und durfte die Maske nicht fallen lassen.
Walthers Maske. Die Situation war nicht gerade neu für mich.
»Sie müssen entschuldigen, dass ich etwas Zeit brauche. Auch für mich ist das Ganze ein wenig fremd.«
»Natürlich. Machen Sie langsam, Frau Enn. Ihre Tochter, sagten Sie?«
Sie zündete die Zigarette an und nahm ein paar tiefe Züge.
»Ja, genau. Judith, meine Tochter ...«
Die Sonne verbarg sich hinter einer Wolke. Sie schloss die Augen. Biss sich auf die Lippen. Ich saß unbeweglich da und wartete. Irgendwo aus dem Haus war ein unterdrückter Schrei zu hören.
»Es geschah vor sechs Jahren ...«
Endlich, dachte ich.
». . . vor sechs Jahren. Ich weiß nicht, ob Sie meinen Mann kennen?«
Sie nannte einen Namen und ein Finanzimperium. Letzteres kam mir bekannt vor.
»Zu der Zeit wohnten wir in Weill. Dort lebten wir seit unserer Hochzeit. Dieses Haus hier haben wir nach dem Unglück gekauft ... natürlich in erster Linie wegen der Umgebung.«
Als wollte sie das Haus in irgendeiner Form entschuldigen.
»Ich werde es genau so erzählen, wie es war, Herr Doktor, denn schließlich soll es dann in Ihren Händen liegen.«
Ich sagte
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