Barins Dreieck
auszufüllen.
Und wer sollte wohl ein Verantwortungsgefühl gegenüber diesem unzugänglichen kleinen Vogelwesen empfinden, wenn nicht der, der es getan hatte?
Das war eine gute Frage.
Sie kam mir immer wieder in den Sinn.
Etwas wirklich Neues hatte ich von Elena Kleminska nicht erfahren.
Aber was könnte dem auch noch hinzugefügt werden?
Welche Lücken müssten denn in einem Bericht über einen Mann ausgefüllt werden, der eine Elfjährige zwei Wochen lang vergewaltigt? Wen interessieren die Details? Wer will sie hören?
Dass er erst seit einem Monat in dem Haus gewohnt hatte. Dass er die Wohnung von seinem Bruder übernommen hatte, einem Werftarbeiter, der nach Kanada emigriert war.
Dass eine der Nachbarinnen sich hinterher daran erinnerte, ihnen auf der Treppe begegnet zu sein, und dass das Mädchen eine große Puppe im Arm hatte ... sie war noch ganz neu, ihr Kopf noch in Zellophan eingewickelt.
Oder dass er, der Mann, erst kurz zuvor aus der psychiatrischen Klinik von Rejmershus entlassen worden war ... aber das wusste man natürlich nicht vorher.
Hinterher? Ja, da stand alles in Flammenschrift an der Wand geschrieben.
Bevor es passierte, hatte man nichts gewusst, auch nicht während der Tage ... niemand schien ihn überhaupt beachtet zu haben. Niemand hatte Notiz von ihm genommen. Warum hätte man das tun sollen?
Und wenn dem schon so war, was für eine Rolle spielte es da noch, dass er bereits früher wegen brutaler Vergewaltigung Minderjähriger verurteilt worden war? Dass er bereits nach wenigen Monaten aus dem Gefängnis in die geschlossene psychiatrische Anstalt überführt worden war? Was hatte das für eine Bedeutung, wenn doch sowieso alles zu spät war, alles schon geschehen war? Könnte ich darauf eine Antwort geben?
Das konnte ich nicht, trotzdem wusste sie zu berichten, Elena Kleminska. Das und noch ein wenig mehr. Aber nicht besonders viel.
Die gleiche graugrüne Windjacke beide Male, als sie ihn sah. Die gleichen schweren Stiefel. Ein dünner Schnurrbart. Etwas Merkwürdiges im Blick, das hatte ihr nicht gefallen. Aber um bei der Wahrheit zu bleiben, so hatte sie nichts geahnt. Hatte nichts ahnen wollen. Und die anderen auch nicht.
Erst hinterher. Da hatten sich die Nachbarn getroffen und in größter Diskretion ihre Beobachtungen ausgetauscht. Da hatte Herr Vargas, der Hausmeister, widerstrebend eine Art finsterer Heldenrolle zugeschrieben bekommen ... Er war derjenige gewesen, der bemerkt hatte, dass da nicht alles mit rechten Dingen zuging, und nachdem er acht Tage gezögert hatte, hatte er die Polizei alarmiert.
Im Café in St. M- geschah etwas.
Oder aber es geschah nichts.
Ich kann mich nicht so recht entscheiden.
Es war kurz nach elf Uhr, ich hatte noch hundertzehn Kilometer zu fahren. Mit meinem Kaffeebecher ließ ich mich an einem freien Tisch nieder, davon gab es nicht so viele.
Ein Stück entfernt von mir saß eine Frau, auch sie saß allein an einem Tisch. Der Abstand zwischen uns war nicht groß. Vielleicht drei oder vier Meter, aber dennoch zu groß, als dass wir hätten miteinander reden können. Viel zu groß. Der Lärmpegel war hoch. Vor allem an der Bar, wo die Leute in doppelter Reihe standen.
Unsere Blicke trafen sich. Sie war noch jung, höchstens fünfundzwanzig Jahre alt, und sie machte nicht sofort Eindruck auf mich. Aber bereits nach wenigen Minuten hatten sich unsere Blicke viel zu oft getroffen ...
Sie war dunkel. Ich weiß eigentlich selbst nicht, warum ich mit dieser Episode meine Zeit vergeude. Vielleicht nur, damit sie nicht in Vergessenheit gerät ... auch ihr Kostüm war dunkel, ich meine mich zu erinnern, dass sie ein Kostüm trug. Ihre Züge waren markant. Wenn sie eine Schönheit besaß, dann war diese nicht sofort ins Auge fallend. Ich nahm an, dass sie Russin war.
Es gibt eine Grenze, wie Walther immer zu sagen pflegt, an der Situationen keine weitere Belastung mehr ertragen. Jedenfalls nicht, wenn das, was war, weitergeführt werden soll.
Und nicht in etwas anderes übergehen soll.
Ich zündete mir die zweite Zigarette an und wusste, dass ich sie nicht wieder ansehen durfte. Nicht ohne ernste Absichten.
Oder um sie um Verzeihung zu bitten und dann das Lokal zu verlassen.
Um dem zu entgehen, ja, genau um das zu vermeiden, drehte ich mich etwas herum. Ich lehnte mich ein wenig auf dem Stuhl nach hinten und legte die Ellbogen auf den Tisch ... und entdeckte, dass es an der Wand fast genau zwischen uns einen Spiegel gab.
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